Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Literatur<br />
Allgemeine Wahl und demokratische<br />
Eliten<br />
Um zu zeigen, dass nicht Demokratie in einem<br />
starken Sinn, sondern politische Repräsentation,<br />
nicht direkte und egalitäre Machtausübung,<br />
sondern Zurechenbarkeit politischer Entscheidungen<br />
(accountability) und Einwilligung durch<br />
die Bürger als Kernmerkmal der westlichen<br />
politischen Systeme gelten müssen, unternimmt<br />
Manin auch eine formale Analyse des Wahlmechanismus.<br />
Unter Abstraktion von allen historischen<br />
und nationalstaatlichen Kontexten argumentiert<br />
er in Form einer ‚reinen Theorie‘, dass<br />
der Wahlmechanismus selbst darauf geeicht ist,<br />
nicht unter Gleichen auszuwählen, sondern Beste<br />
auszulesen. Die Wahlsituation legt die Unterscheidung<br />
und auch die Bevorzugung von Kandidaten<br />
nahe. Sie beinhaltet kognitive Zwänge<br />
und Informationskosten, die zu einer Ungleichheit<br />
von Wählern und Gewählten führen und<br />
damit die Reproduktion politischer Eliten (‚demokratische<br />
Aristokratie‘) absichern. Auch<br />
durch den demokratischen Aspekt der Ausweitung<br />
des Wahlrechtes wird dieser Eliten-Bias<br />
der Wahl nicht aufgehoben. Er gewinnt aber das<br />
Janusgesicht einer Mischverfassung.<br />
Unter Voraussetzung des aristokratischen<br />
Aspekts politischer Repräsentation bestimmt<br />
Manin nun zugleich genau vier Institutionen,<br />
die die Verbindung von Wählern und Gewählten<br />
strukturieren und damit konkrete politische<br />
Entscheidungsprozesse beeinflussen: Die partielle<br />
Unabhängigkeit der Regierenden vom<br />
Willen der Wähler, die Freiheit der öffentlichen<br />
Meinung von der Kontrolle der Regierenden,<br />
periodisch wiederholte Wahlen und die auf<br />
Mehrheitskonsens zielende Prüfung von Gesetzesvorschlägen<br />
durch Diskussion. Diese<br />
Prinzipien der Repräsentation umfassen nicht<br />
die direkte Programmierung des Entscheidungsprozesses<br />
durch die Bürger – etwa durch imperative<br />
Mandate. Das retrospektive Wählen und<br />
die Möglichkeit der Abwahl auf der Grundlage<br />
einer ex post-Beurteilung getroffener Entschei-<br />
127<br />
dungen sichert aber dennoch, dass die Regierenden<br />
die Präferenzen der Regierten in Rechung<br />
stellen.<br />
Parlamentarismus, Parteiendemokratie,<br />
‚Publikumsdemokratie‘<br />
In abschließenden Ausführungen zu den ‚Metamorphosen<br />
repräsentativer Demokratie‘ entwirft<br />
Manin drei erhellende Idealtypen des repräsentativen<br />
Regierens und widerspricht der<br />
Diagnose einer ‚Krise der Repräsentation‘.<br />
Während die genannten Prinzipien der politischen<br />
Repräsentation sich nämlich historisch<br />
als erstaunlich flexibel und anpassungsfähig<br />
erwiesen hätten, würde sich allerdings derzeit<br />
das Verhältnis demokratischer und aristokratischer<br />
Elemente verschieben. „Wovon wir heute<br />
Zeugen sind, ist nichts anderes als der Aufstieg<br />
einer neuen Elite und der Untergang einer anderen“<br />
(316). Wo der Strukturwandel der Repräsentation<br />
vom klassischen Parlamentarismus<br />
zur Parteiendemokratie zugleich noch als Zugewinn<br />
an demokratischer Gleichheit im Sinne<br />
der klassischen Demokratieauffassungen gedeutet<br />
werden konnte, macht der zeitgenössische<br />
Umbruch von der Parteiendemokratie zur Publikumsdemokratie<br />
(‚démocratie du public‘) jeder<br />
Vorstellung eine simplen Zunahme demokratischer<br />
Gleichheit den Garaus und führt in<br />
mancher Hinsicht zu einer Neuauflage des frühen<br />
Honoratiorenliberalismus mit anders besetzten<br />
Rollen. Aufbauend auf Manin hat daher auch<br />
Robert A. Dahl das gespannte Verhältnis zwischen<br />
politischer Gleichheit und repräsentativer<br />
Demokratie in einer kleinen Schrift erneut<br />
unter die Lupe genommen.<br />
Die Wahl aufgrund von wechselhaften und<br />
personengebundenen Kandidatenimages anstelle<br />
von sozial gerichteten und interessengebundenen<br />
Programmen, der gewachsene Stellenwert<br />
von Umfragespezialisten und Medienexperten<br />
gegenüber Parteiaktivisten und -organisationen<br />
und die Verdrängung von Verhandlungen<br />
zwischen den Parteien durch Debatten in