Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Im Abseits<br />
wegen ihrer Koalitions- und Integrationszwänge<br />
schon länger verloren hat. Wenn die Grünen<br />
eine Regierungskoalition mit ihrem dezidierten<br />
Gegner eingehen, wird die Abbildung von ,Lagermehrheiten‘<br />
(wie bei der Großen Koalition<br />
in Berlin) blockiert und die Wählervoten werden<br />
neutralisiert. Die Folgen für den demokratischen<br />
Prozess sind verheerend. Die Wähler<br />
bleiben bei Wahlen in steigendem Maße zu Hause,<br />
weil sie ihre Erwartungen und Wertpositionen<br />
nicht mehr in den politischen Entscheidungen<br />
ihrer Eliten wiederfinden, die vornehmlich<br />
in exekutiven Zwängen agieren. Schwarz-Grün<br />
wird in Frankfurt jedoch nicht nur die Wahlenthaltung<br />
begünstigen, sondern auch die Abwanderung<br />
zu Flügelparteien an ihren jeweiligen<br />
Rändern.<br />
Die Folge einer regierungstechnisch durchaus<br />
begründbaren Koalitionspolitik quer zu den<br />
politischen Lagern führt zu weiteren Zersplitterungen<br />
des Parteiensystems und zu einer tendenziellen<br />
Delegitimierung des Regierungshandelns.<br />
Wenn linke Mehrheiten möglich sind,<br />
sollten also auch entsprechende Regierungskoalitionen<br />
gebildet werden.<br />
8 Was kann die SPD insgesamt aus<br />
Frankfurt lernen?<br />
In Frankfurt hat die ,Modernisierung‘ der SPD<br />
und der SPD-Politik früh begonnen. Die von<br />
Wentz konzipierte und von Hauff als Kandidat<br />
und OB repräsentierte Politik für die Dienstleistungsstadt<br />
Frankfurt hat sich auf eine Analyse<br />
der Mittelschichten gestützt, die in wesentlichen<br />
Aspekten unzureichend war. Die Dienstleistungsgesellschaft<br />
ist keine klassenlose Individualistengesellschaft,<br />
deren Mitglieder nur von<br />
Nutzen-Kosten-Kalkülen und Lebensstilkonzepten<br />
gesteuert werden. Auch in ihr spielen die<br />
Arbeiterwähler besonders für die SPD noch eine<br />
zentrale Rolle, und das gewerkschaftliche Kommunikationsnetz<br />
bleibt für die Mobilisierung bei<br />
Wahlen weiterhin zentral. Gerade die Angehöri-<br />
51<br />
gen der Mittelschichten haben wachsende Angst<br />
vor dem Absturz in Armut und sind wie die<br />
Arbeiter Befürworter des sichernden Sozialstaats.<br />
Vor allem aber ist die Dienstleistungsklasse<br />
selbst in sehr heterogene Subgruppen<br />
differenziert, die ein unterschiedliches Wahlverhalten<br />
bedingen (hierzu Müller 1998 und Görl<br />
2007). Weder die These von der abnehmenden<br />
Bedeutung des Klassenkonflikts bei Wahlen<br />
noch die von der zunehmenden Bedeutung postmaterieller<br />
Werte für eine so genannte Neue<br />
Politik scheint von den empirischen Daten gedeckt<br />
zu sein, die heute vorliegen.<br />
In Frankfurt hat die Modernisierung der<br />
Stadtpolitik sich lange Zeit an einem einseitig<br />
positiven und ökonomistischen Bild der Stadtgesellschaft<br />
orientiert. Frankfurt wurde als eine<br />
reiche Wachstumsmetropole ohne soziale Probleme<br />
mit flexiblen, konsumorientierten und leistungsstarken<br />
Mittelschichtlern gesehen. Erst in<br />
den 1990er Jahren begann eine Debatte über die<br />
soziale Polarisierung der Stadtgesellschaft und<br />
über die Verteilung der Armutsrisiken in bestimmten<br />
städtischen Regionen und Gruppen.<br />
Empirische Studien machen deutlich, dass die<br />
Modernisierung gerade auch in der Wachstumsmetropole<br />
Frankfurt zu einem „gespaltenen Fortschritt“<br />
führt (Freyberg 1996), d.h. dass für die<br />
SPD als Sozialstaatspartei besonders wichtige<br />
Gruppen an diesem Wachstumsprozess nicht<br />
partizipieren, sondern eher negativ betroffen<br />
sind.<br />
Mit Gerhard Schröders Abkehr vom sichernden<br />
Sozialstaat verlor und verliert die SPD gerade<br />
bei diesen Gruppen Vertrauen und Unterstützung.<br />
Die Diskussion über das ,Prekariat‘<br />
und die ,soziale Unterschicht‘, die Kurt Beck<br />
2006 mehr aus Versehen angestoßen hatte und<br />
die schnell beendet wurde, zeigte deutlich, wie<br />
einseitig die Wahrnehmung der deutschen Gesellschaft<br />
durch die führenden SPD-Politiker<br />
ist. Kontrafaktisch werden die Existenz einer<br />
sozialen Unterklasse und die große Verarmungstendenz<br />
in Deutschland von führenden Sozial-