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Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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mutig entgegentreten, selbst um den Preis, eigene<br />

Prinzipien (wie z. B. die Anerkennung der<br />

Vereinten Nationen als einzige Legimitätsquelle<br />

für militärische Interventionen) hintanzustellen.<br />

6 Historische Analogien?<br />

Ich hatte eingangs darauf hingewiesen, dass die<br />

Gründung der deutschen Sozialdemokratie in<br />

eine Zeit fiel, als die deutsche Vereinigung vor<br />

den Toren stand und es galt, den Platz Deutschlands<br />

und der deutschen Sozialdemokratie in<br />

Europa, in der Welt und gegenüber den USA<br />

neu zu bestimmen.<br />

Soweit historische Analogien überhaupt erlaubt<br />

und sinnvoll sind, kann man sagen, dass<br />

die Sozialdemokraten heute in einer vergleichbaren<br />

Situation sind. Die Jahre seit 1989, die<br />

Jahre der Revolutionierung Osteuropas und des<br />

Zusammenbruchs des Kommunismus bzw.<br />

Sozialismus, diese Umbruchepoche, aus der die<br />

USA als einzige – freilich zögernde und unsichere<br />

– Weltmacht hervorgegangen sind (oder<br />

vielmehr: in der auch dem letzten Sowjetuniongläubigen<br />

deutlich wurde, dass die Welt in<br />

Wirklichkeit schon immer unipolar gewesen war,<br />

zumindest ideell) – diese europäischen Jahre<br />

voller Wunder berühren auch das Selbstverständnis<br />

der deutschen Sozialdemokratie und<br />

ihr Verhältnis zu den USA in hohem Maße.<br />

Zwar orientierte sich die SPD auch schon im<br />

Gründungsjahr 1863 und den folgenden Jahren<br />

in vielfacher Hinsicht an den USA; indes waren<br />

es weniger die amerikanischen USA, an denen<br />

sie sich orientierte, sondern ein nach deutschsozialistischem<br />

Modell imaginiertes Amerika,<br />

an dem sie sich emporziehen wollte. Als dann<br />

diese Nation sich hartnäckig weigerte, sich dem<br />

marxschen Geschichtsverlauf und Gesellschaftsmodell<br />

gemäß zu entwickeln, kam es zu<br />

einer zunehmenden ideologischen Konkurrenzsituation<br />

zwischen deutscher Sozialdemokratie<br />

und den USA, zu dem sozialdemokratischen<br />

Glauben, der transatlantischen Macht eine sozi-<br />

Werner Kremp<br />

alistische Macht entgegensetzen zu müssen. Indes<br />

mussten die Sozialdemokraten in einem langen,<br />

mühseligen, mit vielen Umwegen verbundenen<br />

Weg sich allmählich zu der Einsicht bequemen,<br />

dass erstens die amerikanische Realität<br />

anders ist als in Europa und Deutschland,<br />

dass sie, zweitens, vielschichtig und dass sie,<br />

drittens, mächtig ist – mächtiger als die ‚Weltmacht<br />

SPD‘, wie Willy Brandt sie gelegentlich<br />

liebevoll-ironisch nannte.<br />

Heute ist der sozialdemokratisch-amerikanische<br />

Bildungsroman an einer weiteren wichtigen<br />

Wegmarke angelangt. Die SPD ist endgültig<br />

zu einem Teil des amerikanischen Kosmos<br />

geworden, weil es nach dem Zusammenbruch<br />

des Sozialismus-Kommunismus als Ordnungsmodell<br />

nun wirklich keine prinzipielle<br />

Alternative mehr zum westlich-amerikanischen<br />

Modell (oder besser: zu westlich-amerikanischen<br />

Modellen) gibt – und nach dem Wegfall<br />

des Zweiten Wegs auch keinen Dritten Weg<br />

mehr. Was der SPD bleibt, ist, die USA als die<br />

einzige wirkliche Weltmacht zu akzeptieren, sie<br />

quasi endgültig diplomatisch anzuerkennen und<br />

ihre eigenen Ordnungsentwürfe als Varianten<br />

innerhalb des amerikanischen Kosmos zu betrachten,<br />

nicht als Gegenstück zu ihm, zum<br />

Amerikanismus.<br />

Dass die SPD sich bewusst und explizit als<br />

Teil des amerikanischen Kosmos betrachtet,<br />

bedeutet natürlich keineswegs, dass es hinfort<br />

nur noch harmonische Sphärenklänge unterm<br />

transatlantischen Himmel geben darf. Im Gegenteil:<br />

Erst durch die Anerkennung der USA<br />

ist Konflikt richtig möglich, der rationale und<br />

notwendige Austrag von Konflikten auf der<br />

Basis prinzipieller Gemeinsamkeit, vor dem<br />

Hintergrund teils divergenter, teils konvergenter<br />

Interessen.<br />

„In Deutschland liegt unser Amerika“, sagte<br />

Wilhelm Liebknecht. Niemand kann die Tatsache<br />

übersehen, dass unsere Gesellschaft, oder<br />

besser, dass ganz Europa auf dem Weg ist, sich<br />

(immer noch weiter) zu ,amerikanisieren‘: plu-

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