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Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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steht, unter welchen Bedingungen der soziale<br />

Raum überhaupt zu einem öffentlichen Raum<br />

(im normativen Sinne) werden kann.<br />

Wenn man die extreme Schlussfolgerung<br />

beiseite lässt, dass Sozialkapital, insofern es ein<br />

Clubgut darstellt, immer unzivilen Charakter<br />

oder zumindest unzivile Folgen hat, kommt es<br />

für die Analyse ‚realer‘ Zivilgesellschaften darauf<br />

an, das Nebeneinander unziviler und ziviler<br />

Formen zu untersuchen. Die Tatsache, dass verschiedene<br />

soziale Gruppen existieren, die auch<br />

begrenzte Solidaritätsbezüge vermitteln, ist, wie<br />

schon betont, an sich kein unziviles Phänomen.<br />

Es ist zunächst ein Ausdruck des Pluralismus in<br />

modernen Gesellschaften, die ihren Mitgliedern<br />

keinen übergreifenden Sinnhorizont mehr vorschreiben.<br />

Ein Problem besteht aber in der unterschiedlichen<br />

Ausstattung mit symbolischem<br />

Kapital 5 und der unterschiedlichen Wertschätzung<br />

die sozialen Gruppen daher entgegengebracht<br />

wird. Vor diesem Hintergrund muss die<br />

Sphäre zivilgesellschaftlichen Handelns auch als<br />

eine Sphäre sozialer Kämpfe betrachtet werden,<br />

in denen um gesellschaftliche Positionierung<br />

gerungen wird.<br />

Ich will abschließend drei Szenarien umreißen,<br />

die die Frage betreffen, welche Bedeutung<br />

Sozialkapital für die gesellschaftliche Integration<br />

unter Bedingungen von ökonomischer Ungleichheit<br />

und kultureller Differenz haben kann.<br />

Im ersten Szenario erscheint die Zivilgesellschaft<br />

als ein Nebeneinander sozialer Milieus:<br />

Die Bourdieu’sche Perspektive legt nahe, von<br />

verschiedenen sozialen Gruppen in der Gesellschaft<br />

auszugehen, die für einander relativ undurchdringlich<br />

bleiben. Das durch den Habitus<br />

bewirkte unbewusste Meidungsverhalten von<br />

sozialen Milieus, die uns fremd sind, macht die<br />

Bildung brückenschlagenden (verstanden als<br />

soziale cleavages überschreitenden) Sozialkapitals<br />

psychologisch relativ unwahrscheinlich.<br />

Jede Analyse der demokratietheoretischen Bedeutung<br />

von Sozialkapital muss das in Rechnung<br />

stellen. Der Soziologe Hans Joas spricht<br />

<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 20, 4/2007<br />

von einer ‚tragischen Güterabwägung‘, die<br />

daraus erwachse, das nur ‚gegeneinander abgeschlossene<br />

Milieus‘ Gemeinsinn vermitteln, der<br />

sich dann aber wegen der ‚Versäulung‘ der Gesellschaft<br />

(gemeint ist die Abgrenzung sozialer<br />

Milieus gegeneinander) nicht für das ganze<br />

Gemeinwesen auswirken kann (Joas 2001).<br />

Dieses Phänomen hat auch Putnam im Auge,<br />

wenn er in jüngeren Untersuchungen von einer<br />

‚Privatisierung des Sozialkapitals‘ spricht. Sozialkapital<br />

als gesamtgesellschaftliches, öffentliches<br />

Gut, schwindet nicht einfach, wie die<br />

umstrittene ‚Bowling-Alone‘-These nahe legt,<br />

sondern es entwickelt sich immer mehr zu einem<br />

kollektiven Gut von sozialen Gruppen.<br />

Dementsprechend gewinnen Probleme der unterschiedlichen<br />

Qualität und Verteilung von Sozialkapital<br />

an Bedeutung.<br />

Ein zweites Szenario geht von einem Auseinanderfallen<br />

der Gesellschaft mit Blick auf<br />

soziales Eingebundensein aus. Neuere Analysen<br />

sozialer Exklusion begreifen Benachteiligung<br />

als ein Integrationsdefizit, das sich auch<br />

auf soziale Netzwerke bezieht (Böhnke 2006:<br />

97ff.). Das Fehlen von sozialem Kapital ist<br />

zugleich Ausdruck und verstärkt Phänomene<br />

ökonomischer und kultureller Depravation. Exklusion<br />

bedeutet nicht nur, vom Wohlstandniveau<br />

der Gesamtgesellschaft weitgehend abgekoppelt<br />

zu sein, sondern auch sozialer Einbindung<br />

in Form von Netzwerken, persönlicher<br />

und zivilgesellschaftlicher Art, zu ermangeln.<br />

Personen unterscheiden sich demnach nicht<br />

allein danach, welche unterschiedliche soziale<br />

Wertschätzung die Gruppen genießen, denen sie<br />

sich zugehörig fühlen, sondern, ob sie sich überhaupt<br />

noch irgendwelchen sozialen Gruppen zuordnen<br />

und von dem in diesen Kontexten gebildeten<br />

Sozialkapital profitieren können. Eine demokratietheoretische<br />

Betrachtung der Zivilgesellschaft<br />

hat ihr Augenmerk unter diesen Bedingungen<br />

nicht nur auf Auseinandersetzungen<br />

zu richten, die von organisierten sozialen Gruppen<br />

um Respekt, Chancengleichheit und Inklu-

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