Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Literatur<br />
gung, unterfüttert durch die UN-Resolution<br />
1325, angeführt, nicht aber eine etwaige bessere<br />
Konfliktlösungskompetenz der Frauen.<br />
Der Beitrag von Selmin Çaliskan berichtet<br />
von der Arbeit mit kriegstraumatisierten Frauen<br />
und Mädchen in Bosnien und Afghanistan. Hier<br />
wird die spezifische Bedrohung der Frauen als<br />
Frauen deutlich. Die Entführungen und Vergewaltigungen<br />
von Frauen dienen in den patriarchalen<br />
Gesellschaften nicht etwa der Triebabfuhr,<br />
sondern der gezielten Schädigung des<br />
männlichen Feindes durch die Beschädigung<br />
der von ihm ‚besessenen‘ Frau. Die Traumatisierung<br />
der Frau zur Verletzung des Mannes ist<br />
Teil der Kriegsstrategie. Diese gesellschaftliche<br />
Interpretation zwingt die Frauen in die Isolation,<br />
psychisch oder auch durch die Exklusion<br />
aus der Familie. Die besondere Bedeutung von<br />
Frauenarbeit in Krisengebieten wird in diesem<br />
Beitrag deutlich und beispielhaft dargestellt.<br />
Der Band schließt mit einem ausführlichen<br />
Materialanhang. Hier finden sich Dokumente<br />
der Selbstverständigungsdiskussion über Krisenhilfe<br />
von VENRO, Brot für die Welt/EED/<br />
Misereor, dem Auswärtigen Amt, Caritas/Diakonie<br />
sowie dem Konsortium Ziviler Friedensdienst,<br />
der im inhaltlichen Teil bereits von Evers<br />
vorgestellt worden war. Zudem werden verschiedene<br />
Codes of Conduct dokumentiert. Der<br />
Serviceteil wird abgerundet durch ein Glossar,<br />
Zusammenfassungen der Beiträge und einer<br />
Kurzvorstellung der AutorInnen, die besonders<br />
wichtig ist, weil zum Teil AktivistInnen von eigenen<br />
Programmen berichten und daher die<br />
Perspektive der AutorIn eine wichtige Zusatzinformation<br />
ist.<br />
Hoch gehängte normative Ansprüche<br />
Die Rolle von NGOs in Krisengebieten ist ein<br />
interessantes Thema. Hier stoßen starke normative<br />
Imperative aufeinander: einerseits den Konflikt<br />
nicht zu verschärfen, zu verlängern oder<br />
auf andere Weise zu begünstigen und andererseits<br />
den betroffenen Menschen zu helfen. Die-<br />
133<br />
se Hilfe findet vielfach unter Gefahr statt und<br />
stellt daher an die Helfenden besondere Ansprüche<br />
mit enormen Belastungen. Angesichts dieser<br />
normativ schwierigen und stark beanspruchenden<br />
Arbeit ist eine (Selbst-)Verständigung<br />
jenseits der Alltagsarbeit sinnvoll und wichtig<br />
(vgl. auch den Erlebnisbericht auf S. 142 im<br />
Band). Dieser anspruchsvollen Aufgabe wird<br />
der Band aber nur in kleinen Teilen gerecht.<br />
Zunächst türmen sich eine Unmenge von normativen<br />
Anforderungen wie Neutralität, Unabhängigkeit<br />
von Finanzierungsquellen, genaue<br />
Kenntnis der Konfliktsituation, schnelles Eingreifen<br />
usw. auf. Diese Forderungen sind oftmals<br />
widersprüchlich, vor allem bleiben sie<br />
wohlfeil, weil sie ganz offensichtlich an den<br />
Realitäten vorbeigehen – das wird selbst dem<br />
außenstehenden Laien schnell deutlich. Wer<br />
meint, dieser Fülle von Ansprüchen gerecht zu<br />
werden, ist nicht am Ziel, sondern braucht eine<br />
Therapie gegen Größenwahn. Viel zu selten<br />
werden die Ziele in diesem Band als Dilemma<br />
diskutiert, als konkurrierende Ziele in einem<br />
extrem schwierigen Feld mit komplexen, schnell<br />
veränderlichen Ansprüchen. Erst in der Gesamtschau<br />
über die Artikel hinweg wird die Komplexität<br />
und Widersprüchlichkeit deutlich, während<br />
die Beiträge selbst nur kategorische Ratschläge<br />
geben. Es ist nicht die starke normative<br />
Orientierung fast aller Beiträge, die einen als<br />
Leser so unruhig macht, sondern die kategorische<br />
Schärfe mit der die Ansprüche vertreten<br />
werden. Nach einiger Zeit sehnt man sich nach<br />
Realpolitik und Selbstbescheidung, die anerkennt,<br />
dass vieles unmöglich bleibt und normative<br />
Widersprüche unbefriedigende Lösungen<br />
zwangsläufig zur Folge haben. Nur in einem<br />
Teil der Fall-Beschreibungen wird dies deutlich,<br />
die abstrakteren Beiträge bleiben eine Diskussion<br />
von Dilemmata mehrheitlich schuldig.<br />
An vielen Stellen wären normative Gegenpositionen<br />
interessant gewesen – nicht um sie<br />
bis zum Letzten zu vertreten, sondern um die<br />
Positionen zu schärfen. Am Ende bleibt bei-