Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Parteiensystem im Umbruch?<br />
der auf Ausgleich und Kooperation ausgerichteten<br />
Konsensdemokratie vereint. Eine Fortdauer<br />
der Großen Koalition käme einer Ausweitung<br />
der konsensdemokratischen Dimension<br />
gleich. Allerdings läge eine gewisse Besonderheit<br />
darin, dass die Stärkung der Konsensdemokratie<br />
in der politischen Kultur der Bundesrepublik<br />
bis auf weiteres nicht mit ebenfalls starken<br />
und anwachsenden konsensdemokratischen<br />
Einstellungen zum Parteienwettbewerb verbunden<br />
ist. Hier dominiert nach wie vor das Lagerdenken,<br />
nicht zuletzt auch am Leben gehalten<br />
durch die in den Wahlkämpfen hochgefahrenen,<br />
traditionellen ideologischen Feindbilder.<br />
Der auf Dauer gestellte Gegensatz zwischen einer<br />
ideologischen ‚Konkurrenz-Show‘ und einer<br />
praktischen ‚Konsens-Politik‘ müsste zu<br />
Befremden und Verunsicherung führen und die<br />
‚Glaubwürdigkeit‘ von Politik in Frage stellen.<br />
Die zweite Interpretation der Fortführung der<br />
derzeitigen Großen Koalition verweist auf die<br />
schwere und späte Geburt der deutschen Demokratie.<br />
Nach dieser Sicht knüpfte das Regierungskartell<br />
an längst überwunden geglaubte<br />
Traditionen eines nicht-pluralistischen, autoritären<br />
deutschen Politik- und Staatsverständnisses<br />
an und könnte dabei eine listige Janusköpfigkeit<br />
zur Schau stellen. Einerseits käme die<br />
gesellschaftliche und kulturelle Vielfalt einer<br />
modernen Gesellschaft in ihrer Dynamik natürlich<br />
ungebrochen zur Geltung mit all ihren Anforderungen<br />
an Staat und Politik; andrerseits<br />
könnten aus der in den letzten beiden Jahrzehnten<br />
sichtbar gewordenen Ökonomisierung von<br />
Politik die heute schon propagierten Fiktionen<br />
von ‚sachgerechten‘, nach allen Regeln der<br />
Governance- und Policy-Forschung entworfenen<br />
Problemlösungs- und Steuerungskonzepten<br />
für die zentralen Politikfelder durchaus attraktive<br />
Antworten auf die gesellschaftlichen<br />
Anforderungen propagieren. Gesellschaftlicher<br />
und kultureller Pluralismus und eine neue Variante<br />
von politischem Monismus stünden nebeneinander.<br />
35<br />
Beide Interpretationen und die aus ihnen<br />
entstehenden Bilder von Politik werden nicht<br />
zur Festigung der demokratischen politischen<br />
Kultur im Sinne einer offenen und pluralistischen<br />
Demokratie beitragen.<br />
Gerd Mielke ist Professor am Institut für<br />
Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-<br />
Universität ins Mainz und Mitglied der Arbeitsgruppe<br />
Wahlen Freiburg.<br />
Anmerkungen<br />
1 Zum näheren Vergleich beider Großen Koalitionen<br />
siehe Dittberner (2007).<br />
2 Siehe hierzu auch den differenzierten Beitrag<br />
von Schäfer (2007), die zahlreichen Arbeiten<br />
von Edeltraud Roller, z.B. Roller (2000),<br />
sowie Eith/Mielke (2000).<br />
3 Siehe hierzu: Nachtwey/Spier (2007), Schoen/Falter<br />
(2005), Mielke (2004).<br />
4 Der Begriff des ,fluiden Fünfparteiensystems‘<br />
ist von dem Berliner Parteienforscher<br />
Oskar Niedermayer geprägt und in verschiedenen<br />
Publikationen und Vorträgen verwendet<br />
worden. Ihm sei sehr herzlich für zahlreiche<br />
Anregungen im Rahmen der Tagung des ,Gesprächskreis<br />
Sozialwissenschaft‘ am 16. und<br />
17. November 2007 in Berlin gedankt; zum<br />
Verständnis seines Konzepts sei verwiesen auf<br />
Niedermayer 2002.<br />
5 Alle anderen Koalitionsvarianten können für<br />
die nächsten zwei Jahre auf der Bundesebene<br />
ausgeschlossen werden, auch wenn sie,<br />
aller-dings zumeist im Blick auf bestimmte Bundesländer,<br />
zuweilen als Denkmodelle durch die<br />
öffentlichen Diskussionen geistern. Dies gilt vor<br />
allem für das so genannte ,Jamaika-Modell‘ aus<br />
CDU/CSU, FDP und Grünen und für die rotrot-grüne<br />
Koalitionsvariante. Das ,Jamaika-<br />
Modell‘ würde innerhalb der CDU, vor allem<br />
aber zwischen CDU und CSU zu massiven<br />
Auseinandersetzungen vor allem auf der kulturellen<br />
Konfliktachse führen, aber gleichzeitig