Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Modernisierungen der Traditionskompanie<br />
Müntefering sogar eine Änderung des Bundeswahlgesetzes<br />
an. Dies stieß allerdings auf erheblichen<br />
Widerstand in der Parteispitze, auch<br />
eine große Zahl an Funktions- und Mandatsträgern<br />
sprach sich dagegen aus. Daher wurde die<br />
Entscheidung zur Einführung von Vorwahlen<br />
vertagt und seit dem nicht mehr aufgerufen.<br />
Auf Münteferings Thesen aufbauend entwickelte<br />
der damalige SPD-Bundesgeschäftsführer<br />
Matthias Machnig Vorschläge zum Umbau<br />
der SPD von einer Mitgliederpartei in eine<br />
Netzwerkpartei. Ausgangsüberlegungen dieser<br />
Parteireform waren nicht nur die Tatsache, dass<br />
sich die SPD weitgehend unvorbereitet in der<br />
Regierungsverantwortung als größte Regierungs-<br />
und Kanzlerpartei wiederfand und –<br />
insbesondere nach dem Rücktritt des Parteivorsitzenden<br />
Oskar Lafontaine - weiterhin kontinuierlich<br />
an Mitgliedern verlor, sondern vor allem<br />
gesellschaftliche Entwicklungen. Zurückgehend<br />
auf Manuel Castells Vorstellungen einer<br />
Netzwerkgesellschaft (Machnig 2001: 33f), die<br />
sich im Wesentlichen durch „die Flexibilität ihrer<br />
Austauschbeziehungen und das Tempo der<br />
permanenten Neustrukturierung dieser Beziehung“<br />
von der industriellen Gesellschaft unterscheidet,<br />
müsse die SPD sich zu einer Netzwerkpartei<br />
entwickeln, um im ‚digitalen Kapitalismus‘<br />
(Peter Glotz) politisch bestehen zu<br />
können. Nur dies sichere das Fortbestehen der<br />
SPD als Mitgliederpartei.<br />
Netzwerkparteien bestehen nach Machnig<br />
aus ihren Mitgliedern, Unterstützern und Dialogpartnern.<br />
Sie bilden den organisatorischen<br />
Kern von immer wieder neu zu schmiedenden<br />
‚Bürgerkoalitionen‘ mit Individuen oder Gruppen,<br />
sie formulieren für diese Allianzen Handlungsoptionen.<br />
In diese Netzwerkarbeit muss<br />
die SPD verschiedene zum Teil noch zu entwickelnde<br />
Kernkompetenzen (Dialog-, Handlungs-,<br />
Programm- und Organisationskompetenz)<br />
einbringen, wie auch Müntefering dies<br />
schon forderte. (Vorwärts vom Dezember 2000:<br />
23; siehe Machnig 2000: 655 f)<br />
59<br />
Machnig attestiert der überalternden SPD<br />
einen fehlenden Zugang zu jüngeren Menschen<br />
und Mitgliedern aus der Facharbeiter- und Akademikerschaft.<br />
Die daraus resultierende Abkoppelung<br />
der SPD würde den Erfahrungsreichtum<br />
der Partei, ihre wichtigste Ressource,<br />
schmälern. Der sinkende Anteil der Stamm- und<br />
Randwählerschaft bei zeitgleich steigender Tendenz<br />
zum Wechselwählen und stets kurzfristigerer<br />
Wahlentscheidung mache das fortwährende<br />
Schmieden von Bündnissen auf Zeit notwendig;<br />
die Kernaufgabe einer Netzwerkpartei.<br />
Dies könne bei wachsendem Desinteresse an<br />
Politik angesichts der komplizierten aber notwendigen<br />
Vermittlung von Personal, Programm<br />
und Symbolik über die Medien nur eine professionalisierte<br />
Partei bewältigen (Machnig 2002:<br />
105ff). Daher standen bei dieser Parteireform<br />
in erster Linie die Verbesserung und Professionalisierung<br />
der Parteistrukturen, insbesondere<br />
im Hinblick auf die Medien, im Mittelpunkt.<br />
Machnigs Konzept Netzwerkpartei stieß auf<br />
zum Teil herbe Kritik und wurde als unausgegoren,<br />
unstimmig und voller Widersprüche bezeichnet.<br />
Thomas Dürr hält die Diskussion um<br />
die Netzwerkpartei für einen großen Bluff,<br />
Machnigs Vorstellungen seien eigentlich ein<br />
neuer Aufguss der Rahmenpartei. In der Tat<br />
weist die Netzwerkpartei große Ähnlichkeit mit<br />
Rahmen-, Wähler, Fraktions- oder Berufspolitikerparteien<br />
auf: All diese Parteireformkonzepte<br />
sehen die Zukunft in einer stärkeren Professionalisierung<br />
des Parteiapparates bei gleichzeitigem<br />
Bedeutungsverlust der Mitgliedschaft.<br />
Demzufolge kommt auch Dürr zu seinem zentralen<br />
Kritikpunkt, dass der Netzwerkpartei die<br />
Vorstellung zu Grunde liege, Parteimitglieder<br />
würden eigentlich den professionellen Parteibetrieb<br />
nur stören (Dürr 2001: 18).<br />
Grundsätzlich steht Thomas Leif zwar der<br />
Netzwerkpartei positiv gegenüber, insbesondere<br />
Machnigs schonungslose Offenheit der Analyse<br />
der sozialdemokratischen (Partei-) Wirklichkeit<br />
stößt auf seine Zustimmung, doch weist