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Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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20<br />

keine naturwüchsigen Verbindungen. Sie bedürfen<br />

einer steten Pflege und Interpretation in<br />

der Form von politischen Erzählungen und<br />

Symbolen; sie müssen immer wieder erneuert<br />

und aktualisiert werden. Auch die traditionellen,<br />

vermeintlich naturwüchsigen Bindungen<br />

etwa zwischen Industriearbeitern und Kirchgängern<br />

und den ihnen jeweils zugeordneten Parteien<br />

sind bei genauerem Hinsehen das Ergebnis<br />

intensiver politischer Bemühungen gewesen,<br />

ja, selbst ,die‘ Arbeiterschaft oder ,die‘<br />

Katholiken mit ihrem Klassen- und Gruppenbewusstsein<br />

erscheinen dem Sozialhistoriker als<br />

kulturell und politisch erzeugte soziale Gruppen.<br />

Auch dieser zweite, auf soziale Felder und<br />

Gruppen bezogene Ansatz der Sozialforschung<br />

und das durch ihn vermittelte Bild der Wählerschaft<br />

und der Parteien lassen sich in ein medial<br />

vermitteltes, öffentliches Bild der Politik übertragen.<br />

Allerdings fehlt ihm der einfache ‚appeal’<br />

des Individualisierungsmodells. Mit der<br />

Verortung der Wähler in einem komplizierten<br />

Geflecht von Statusorientierungen, sozialen und<br />

kulturellen Normen und politischen Bindungen,<br />

mit den so gar nicht der politisch-medialen Heldentheorie<br />

entsprechenden, eher bescheidenen<br />

Handlungskorridoren der politischen Eliten findet<br />

Politik hier in den Kategorien des Gruppenpluralismus,<br />

der Interessenkonkurrenz und<br />

des Verteilungskampfes statt. Allein schon der<br />

in diesem Ansatz gepflegte Rekurs auf Gruppen,<br />

Milieus und kollektive Orientierungen<br />

verändert zudem die politische Optik. Der in<br />

dem Marktmodell implizierte Blickwinkel auf<br />

die je individuellen Tüchtigkeiten und Erfolge<br />

bzw. Misserfolge wird durch den Verweis auf<br />

unterschiedliche, je gruppenspezifische Ressourcen<br />

ergänzt und damit relativiert. Es entwickelt<br />

sich ein ganz anderes Politikverständnis.<br />

Der Hinweis auf diese, hier nur holzschnittartig<br />

wiedergegebenen Forschungs- und Interpretationslinien<br />

der politischen Verarbeitung gesellschaftlicher<br />

Modernisierung kann auch bei<br />

Ulrich Eith/Gerd Mielke<br />

der Einschätzung der politischen Entwicklungen<br />

in den zurückliegenden beiden Jahren der<br />

Großen Koalition nützlich sein. Es wird also<br />

nicht nur darum gehen können, die Schwankungen<br />

der Parteianhängerschaft oder der Kandidatenpopularität<br />

seit 2005 zu verfolgen, sondern<br />

die demoskopisch sichtbaren Veränderungen<br />

sollten stets auch mit dem Blick auf ihre<br />

strukturellen Verankerungen diskutiert werden.<br />

3 Demokratietheoretische Implikationen<br />

der Parteienforschung<br />

Wahl- und Parteienforschung ist immer auch<br />

Demokratieforschung. Die Wähler und die Parteien<br />

mit ihren Eliten spielen in allen Modellen<br />

der pluralistischen Demokratie eine entscheidende<br />

Rolle bei der Zuweisung von Legitimation,<br />

der Ermöglichung von Teilhabe, der Ausübung<br />

von Kontrolle, der Repräsentation und des<br />

Transfers eines pluralistischen Interessenspektrums<br />

in den Institutionen und bei der Organisation<br />

demokratischer Herrschaft, um hier nur<br />

einige zentrale demokratierelevante Funktionen<br />

von Wahlen zu nennen, an denen sowohl die<br />

Wähler als auch die Parteien mitwirken. Die<br />

Befunde der empirischen Wahl- und Parteienforschung<br />

haben zu einem differenzierten und<br />

realistischeren Bild der um die Wahlen gruppierten<br />

demokratischen Abläufe geführt und von<br />

Anbeginn einen erheblichen Einfluss auf die<br />

demokratietheoretischen Kontroversen ausgeübt,<br />

sei es im Sinne einer Revision vormaliger<br />

demokratietheoretischer Positionen, sei es im<br />

Sinne einer kritischen Auseinandersetzung und<br />

Zurückweisung dieser Befunde. 3<br />

Der Zusammenhang zwischen Wahl- und<br />

Parteienforschung und Demokratietheorie wirft<br />

die Frage auf, ob und auf welchen Feldern neuere<br />

Befunde zu Wahlen und Parteien auf Entwicklungen<br />

verweisen, die nicht nur auf veränderte<br />

Verhaltensmuster bei den Wählern und in<br />

den Parteien hindeuten, sondern darüber hinaus<br />

auch für demokratietheoretische Diskurse be-

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