Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Pulsschlag<br />
anne Toensmann mit der Gerechtigkeit auf lokaler<br />
Ebene. Während die durch Segregation<br />
geprägte Großstadt Ort einer freiheitsbeschränkenden<br />
Reproduktion struktureller Privilegien<br />
und Dominanzen sei, zeichne sich die ideale<br />
Stadt durch die Anerkennung von Unterschieden<br />
ohne Exklusion aus. Dieses Ideal biete die<br />
Möglichkeit, den Anderen zu erfahren und sich<br />
an diesem zu spiegeln. Gerade die Erfahrung<br />
der Fremdheit stelle wiederum die Basis für<br />
einen Begriff ‚differenzierter Solidarität‘ dar.<br />
Hinter diesem stehe nicht der Auftrag, den<br />
Anderen zu verstehen, sondern vielmehr das<br />
Bestreben, ihm auf der Basis von Akzeptanz<br />
fremd zu bleiben – und dies auch aus normativer<br />
Perspektive zu dürfen.<br />
Der Youngsche Mittelweg –<br />
Anne Phillips zu Iris M. Young<br />
Den Abschluss markierte der Vortrag von Anne<br />
Phillips (London School of Economics), die seit<br />
‚Geschlecht und Demokratie‘ (1995) zu den<br />
wichtigsten Autoren zeitgenössischer Demokratietheorie<br />
zählt. Während sie zu Beginn die konstitutive<br />
Rolle der Gruppe für die Ausbildung<br />
von individueller Identität als Motiv in Youngs<br />
Denken betonte, wandte sie sich im nächsten<br />
Schritt der problematischen Seite ebendieser<br />
Beziehung zu: So liefe insbesondere die Zuschreibung<br />
von Gruppenzugehörigkeit durch<br />
Außenstehende stets Gefahr, der realen Komplexität<br />
tatsächlicher Gruppenzugehörigkeiten<br />
nicht gerecht zu werden. Diese Kritik sei<br />
besonders für politische Programme zutreffend,<br />
da diese die Vielfalt von Gruppenzugehörigkeiten<br />
oftmals ignoriere. Als Beispiel nannte sie<br />
die vor allem aus feministischer Perspektive herangezogene<br />
Kategorie ‚Frau‘, die von Seiten<br />
der Politik vor allem weiße Mittelklassefrauen<br />
meine und sie gegenüber anderen Untergruppen<br />
bevorzuge. Relevant sei dies auch für die<br />
Frage der politischen Repräsentation von Gruppen.<br />
Nach Phillips bestehe die zentrale, jedoch<br />
schwierige Aufgabe darin, Gruppen zugleich<br />
121<br />
eine effektive Stimme zu verleihen und dabei<br />
die Entwicklung eines gruppeninternen Zwangscharakters<br />
zu verhindern. Schließlich richtete<br />
Phillips den Blick auf Youngs Konzeption von<br />
Verantwortung. Sie betonte, dass Young in ihrem<br />
Denken über globale Verantwortung stets<br />
nach einer Alternative gesucht habe nicht nur<br />
zwischen einer im Nationalstaat befangenen und<br />
einer kosmopolitischen Idee von Verantwortung,<br />
sondern zudem auch zwischen einer individualistisch<br />
orientierten sowie einer abstrakteren Perspektive,<br />
die Verantwortung stets in systemischen<br />
Strukturen suche. Mit dieser Betonung<br />
des Youngschen Mittelwegs war implizit auch<br />
die Annäherung der getrennten Kategorien<br />
bereits angesprochen. Denn ganz gleich ob aus<br />
demokratie-, gerechtigkeitstheoretischer oder feministischer<br />
Perspektive, Youngs Problembewusstsein<br />
war stets geprägt durch den kritischen<br />
Blick auf die Beziehung zwischen Individuum,<br />
Gruppe und politischer Gemeinschaft.<br />
Insgesamt wurde die Darmstädter Tagung<br />
ihrem Anspruch gerecht: Sie erbrachte nicht nur<br />
hilfreiche Impulse für das dringliche Problem<br />
der theoretischen und praktischen Verarbeitung<br />
demokratie- und gemeinschaftsfeindlicher Tendenzen<br />
in der Zivilgesellschaft. Sie unterstrich<br />
angesichts anhaltender Ungerechtigkeit auf der<br />
internationalen Ebene zudem die Notwendigkeit<br />
zur Entwicklung von Positionen, die zwischen<br />
den oftmals überstrapazierenden Forderungen<br />
kosmopolitischer Perspektiven und einem<br />
Rückfall in nationalstaatlichen Anachronismus<br />
angesiedelt sind.<br />
Tim Eckes, TU Darmstadt