Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Literatur<br />
Die Kritik an den USA beschränkt sich weitestgehend<br />
auf das Abspulen bekannter anti-amerikanischer<br />
Plattitüden. Massarrat ist nicht der<br />
erste und wird vermutlich auch nicht der letzte<br />
sein, der Huntingtons – ungeachtet aller Probleme<br />
deskriptiv gemeinten – These vom ‚clash<br />
of civilizations‘ (Huntington 1997) durch normative<br />
Implikationen als Rechtfertigung mit dem<br />
‚war on terrorism‘ der Bush-Regierung in Verbindung<br />
zu bringen sucht und damit missversteht.<br />
Kritik am orthodoxen Marxismus<br />
Der marxistischen Theoriebildung kreidet Massarrat<br />
vordergründig die Verabsolutierung der<br />
Kapitalverwertungsmechanismen und die damit<br />
verbundene Vernachlässigung von Macht<br />
und Machtungleichgewicht als vom Akkumulationskreislauf<br />
zu trennende eigenständige<br />
Sphäre an. Durch die Entkopplung des Faktors<br />
Macht vom ökonomischen Paradigma, wie<br />
Massarrat sie im zweiten Kapitel entfaltet, gelingt<br />
es ihm, sich von orthodox-neomarxistischen<br />
Denkmustern zu lösen, wenngleich die<br />
von ihm in seiner Machttheorie vorgenommene<br />
Differenzierung zwölf verschiedener Machtformen<br />
willkürlich und unvollständig bleibt. Hinter<br />
seiner Kritik an marxistischen Theoretikern<br />
verbirgt sich allerdings der grundsätzliche Vorwurf,<br />
deren Alternativvorschläge liefen nicht auf<br />
die Überwindung des Kapitalismus hinaus, sondern<br />
würden stattdessen dem kapitalistischen<br />
System in letzter Konsequenz zu neuem<br />
Schwung verhelfen. Hiervon möchte sich Massarrat<br />
abgrenzen und die globalisierungskritische<br />
Debatte mit neuen Ideen bereichern.<br />
Alternative Perspektiven<br />
Ebenso lang wie die Liste der vom Autor kritisierten<br />
Personen und Strukturen nimmt sich auch<br />
die Liste seiner Ansatzpunkte zur Schaffung einer<br />
neuen und gerechteren Weltordnung aus.<br />
Diesen Ansatzpunkten ist der zweite Teil seines<br />
Buches gewidmet. Grundlegend geht es Mas-<br />
139<br />
sarrat darum, der Logik von Kapitalismus und<br />
Machtungleichheit die Weltordnungsparadigmen<br />
der ökologischen Nachhaltigkeit sowie der inter-<br />
und intragenerativen Gerechtigkeit entgegenzusetzen.<br />
Diese basaltheoretische Perspektive<br />
stellt einen in der Tat wünschenswerten und<br />
einleuchtenden Ansatz dar, dem man intuitiv<br />
zuzustimmen geneigt ist. Auch die Idee, das in<br />
der Forschung dominierende Drei-Säulen-Modell<br />
der Nachhaltigkeit (vgl. Kopfmüller et. al.<br />
2001) um eine politische und eine kulturelle<br />
Dimension zu erweitern, ist schlüssig argumentiert<br />
und bereichert das Nachhaltigkeitskonzept<br />
mit Blick auf dessen praktisch-politische Relevanz.<br />
Das Prinzip der Chancengleichheit, verstanden<br />
als individuelle ‚Gleichheit der Startbedingungen‘,<br />
das Massarrat als Leitethik der<br />
Nachhaltigkeit empfiehlt, erweist sich hingegen<br />
als weniger hilfreich. Entweder es handelt sich<br />
hierbei um ein längst bekanntes moralisches<br />
Prinzip des klassischen Liberalismus, oder es<br />
läuft, versucht man es wie Massarrat im Rahmen<br />
einer egalitär-universalistischen Gerechtigkeitstheorie<br />
auszudeuten, auf eine ‚Gleichheit<br />
der Ergebnisse‘ hinaus, wie sie kommunistische<br />
Ideologen predigen.<br />
Wenig innovativ sind auch die konkreten<br />
Ansatzpunkte, die Massarrat zur praktischen<br />
Umsetzung seiner theoretischen Prinzipien vorschlägt.<br />
Seine Berechnungen zur Arbeitszeitverkürzung<br />
und die daraus abgeleitete Forderung<br />
nach einer 30-Stunden-Woche werden der<br />
Komplexität moderner Unternehmensstrukturen<br />
kaum gerecht (186). Ferner arbeitet Massarrat<br />
zwar eine differenzierte Typologie von<br />
NGOs aus (242 ff), aber mit seiner Forderung<br />
nach deren Beteiligung an politischen Entscheidungsprozessen<br />
überschätzt er ihr Potential. Es<br />
gelingt ihm nicht, eine Lösung für das Problem<br />
der fehlenden demokratischen Legitimation zu<br />
finden; auch den Einwand, NGOs verlören<br />
durch die Beteiligung an politischen Entscheidungen<br />
systemanpassungsbedingt ihre derzeitige<br />
Funktion, kann er nicht glaubhaft widerle-