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Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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Von Brillen und Bildern<br />

In der jüngeren Diskussion haben sich vor<br />

allem Colin Crouch (2004) und Chantal Mouffe<br />

(2007) mit diesem Paradigmenwechsel und<br />

seinen Folgen auseinandergesetzt, Crouch vor<br />

dem Hintergrund seiner These von der Tendenz<br />

zur ,Post-Democracy‘ in den westlichen Gesellschaften,<br />

Mouffe in einer Streitschrift „wider<br />

die kosmospolitische Illusion von Konsens“<br />

und Versöhnung auf der Grundlage eines allseits<br />

akzeptierten ökonomischen Diskurses. Man<br />

muss dabei die demokratietheoretischen Prämissen<br />

und Positionen der beiden Autoren nicht<br />

teilen, insbesondere nicht Mouffes Rekurs auf<br />

den Freund-Feind-Gegensatz bei Carl Schmitt<br />

als grundlegende Kategorie des Politischen.<br />

Dennoch wird bei Crouch und Mouffe deutlich,<br />

dass ein zunächst über sozialwissenschaftliche<br />

und ökonomische Theorien vermitteltes,<br />

dann aber in politisches Handeln, in mediale<br />

Botschaften und in öffentlich propagierte Verhaltensstandards<br />

umgesetztes Politikverständnis<br />

weit reichende Folgen auch für das Demokratieverständnis<br />

haben muss. Die Gegensätze<br />

zwischen politischen Eliten, die Haushalte, Gesundheits-<br />

oder Rentensysteme zu sanieren vorgeben,<br />

und Wählern, die ihre Erwartungen und<br />

Interessen in politisch-kulturellen Kontexten und<br />

sozialen Bezügen entwickeln und vortragen,<br />

bergen verstärkt die Möglichkeit zur Entfremdung<br />

zwischen Bürgern und Parteien 5 Am Beispiel<br />

der unter Tony Blair erfolgten Hinwendung<br />

der Labour Party zu einer von Anthony<br />

Giddens inspirierten Politik des ,Dritten Wegs‘<br />

dikutiert Chantal Mouffe den grundlegende<br />

Wandel im Politik- und Demokratieverständnis.<br />

„Ein sehr deutliches Zeichen für New Labours<br />

Abrücken von seiner linken Identität ist<br />

ihr Abschied vom Kampf um Gleichheit. Ihr<br />

Slogan lautet jetzt: ,Wahlmöglichkeiten‘ schaffen.<br />

Die Klassen sind verschwunden, die<br />

Schlüsselbegriffe heißen nunmehr ,Inklusion‘<br />

und ,Exklusion‘. Die Gesellschaft wird grundsätzlich<br />

als Gebilde von Mittelschichten betrachtet;<br />

die einzigen Ausnahmen sind eine kleine<br />

23<br />

Elite von Superreichen auf der einen Seite und<br />

die ,Ausgeschlossenen‘ auf der anderen. Dieser<br />

Blick auf die soziale Struktur bildet die<br />

Grundlage für den ,Konsens der Mitte‘…<br />

Der steht natürlich mit dem Grundsatz im<br />

Einklang, dass ,posttraditionale‘ Gesellschaften<br />

nicht mehr durch ungleiche Machtverhältnisse<br />

strukturiert seien. Wenn man die vom<br />

Markt systematisch erzeugten strukturellen Ungleichheiten<br />

als ,Exklusion‘ neu definiert, kann<br />

man sich der Analyse ihrer Ursachen entheben<br />

und damit der fundamentalen Frage ausweichen,<br />

welche Veränderungen der Machtverhältnisse<br />

notwendig wären, um gegen die Ungleichheiten<br />

anzugehen“ (Mouffe 2007: 82).<br />

Dass diese Friktionen nicht nur aus theoretischen<br />

Widersprüchen und Unverträglichkeiten<br />

hervorgehen, sondern darüber hinaus – und man<br />

könnte auch sagen: in erster Linie – auf handfesten<br />

Interessengegensätzen beruhen und somit<br />

auch als ideologische Verschleierungen von<br />

Verteilungskämpfen zwischen Oben und Unten<br />

aufgefasst werden können, liegt nahe. Dies umso<br />

mehr, wenn diese Statuskategorien jenseits aller<br />

Individualisierungsindikatoren immer deutlicher<br />

sichtbar werden und das politische Bewusstsein<br />

prägen sollten. Aber das ist eine andere<br />

Geschichte.<br />

Ulrich Eith, ist Professor am Seminar für<br />

wissenschaftliche Politik, Freiburg, und Gerd<br />

Mielke, ist Professor am Institut für Politikwissenschaft,<br />

Mainz. Beide sind Mitglieder der<br />

Arbeitsgruppe Wahlen Freiburg.<br />

Anmerkungen<br />

1 Einen differenzierten Überblick über die Expertenkommissionen<br />

der rot-grünen Bundesregierungen<br />

gibt Siefken (2006).<br />

2 Die höchst unterschiedlichen Sichtweisen<br />

aus der Perspektive der Wahlforschung erläutert<br />

Michael Vester (2005) am Beispiel des Beratungsumfelds<br />

von Gerhard Schröder im Blick

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