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Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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Einstellungen zum Sozialstaatsabbau<br />

Was führt dazu, dass jemand den Abbau des<br />

Wohlfahrtstaates positiv oder negativ beurteilt?<br />

Wenn vor allem kurzfristig veränderbare Faktoren<br />

eine Rolle spielen, dann sind die Chancen<br />

von zukünftigen Meinungsumschwüngen größer,<br />

als wenn die Einstellungen zum Sozialstaatsabbau<br />

in erster Linie durch langfristig stabile<br />

Größen determiniert werden.<br />

Im Folgenden werden zunächst theoretische<br />

Annahmen über die Entwicklung der Einstellungen<br />

zum Sozialstaatsabbau diskutiert. Auf<br />

dieser Basis werden Hypothesen entwickelt, die<br />

dann empirisch getestet werden. Am Ende des<br />

Beitrags wird außerdem kurz auf die Frage eingegangen,<br />

welche Faktoren die individuellen<br />

Einstellungen zum Sozialstaatsabbau beeinflussen.<br />

Abschließend erfolgt eine Interpretation der<br />

Ergebnisse im Licht der Herausforderungen und<br />

Handlungsoptionen für die politischen Parteien.<br />

2 Thesen zur Veränderbarkeit von<br />

Einstellungen zum Sozialstaatsabbau:<br />

Wie flexibel sind die Erwartungen<br />

der Bürger?<br />

Seit langem gibt es eine Diskussion darüber,<br />

ob, wie stark und in welche Richtung sich die<br />

Erwartungen der Bürger an den Staat verändern.<br />

Diese Debatte dreht sich um Ansprüche<br />

im Allgemeinen, ist aber auf das Feld der Sozialpolitik<br />

übertragbar (Herbert 1983). Dabei stehen<br />

sich zwei Argumentationen gegenüber: Die<br />

Irreversibilitätsthese nimmt an, dass die Bürger<br />

auf bestehende Rechte nicht verzichten<br />

möchten, weshalb einmal eingeführte Sozialleistungen<br />

nicht einfach zurückgenommen werden<br />

können (Eichenberger 1977: 107). Es wird<br />

sogar eine über die Irreversibilität hinausgehende<br />

Anspruchsinflation postuliert: Die Bürger weigerten<br />

sich nicht nur, ihre Erwartungen zu verringern,<br />

sondern schraubten diese auch stets<br />

höher. Prognostiziert wird folglich eine Ausweitung<br />

staatlicher Zuständigkeiten und Leistungen<br />

(Heidorn 1982: 214-215; Luhmann 1981;<br />

73<br />

Offe 1979). Die Thesen der Irreversibilität und<br />

der Anspruchsinflation gehen also davon aus,<br />

dass nur eine Veränderung hin zu einem Ausbau<br />

sozialstaatlicher Zuständigkeiten und Leistungen<br />

auf die Zustimmung der Bürger stoßen<br />

kann, keinesfalls jedoch ein Abbau.<br />

Demgegenüber argumentiert die entgegengesetzte<br />

Anpassungsthese, dass wohlfahrtsstaatliche<br />

Ansprüche auch nach unten flexibel sind<br />

und sich den äußeren Umständen entsprechend<br />

ändern können. Manche Autoren diskutieren in<br />

diesem Zusammenhang den Einfluss wirtschaftlicher<br />

Entwicklungen: Demnach orientierten sich<br />

die Bürger an den finanziellen Realisierungsmöglichkeiten<br />

sozialstaatlicher Programme und<br />

stünden deshalb Sozialkürzungen bei negativer<br />

gesamtwirtschaftlicher Entwicklung positiv gegenüber.<br />

Als Folge mehrerer Rezessionen seit<br />

der Ölkrise in den 1970er Jahren und insbesondere<br />

seit der Wiedervereinigung hätten in der<br />

Bundesrepublik die Erwartungen an den Umfang<br />

staatlicher Zuständigkeiten und an die<br />

Höhe der Sozialleistungen abgenommen (Andreß/Heien/Hofäcker<br />

2001: 50-55). Als weitere<br />

Faktoren, die zur Anpassung wohlfahrtsstaatlicher<br />

Ansprüche beitragen, werden die öffentliche<br />

Diskussion um die Bezahlbarkeit des Wohlfahrtsstaats<br />

und deren mediale Verbreitung betrachtet:<br />

Die in der Bundesrepublik seit nunmehr<br />

über 30 Jahren geführte sozialpolitische Krisendiskussion<br />

führe dazu, dass sich in der Bevölkerung<br />

zunehmend Einsicht in Finanzierungszwänge<br />

und in daraus folgende notwendige<br />

wohlfahrtsstaatliche Einschnitte herausbilde<br />

(Shivo/Uusitalo 1995: 252; siehe Kepplinger/<br />

Noelle-Neumann 2003: 611-639).<br />

Wenn Einstellungen zum Sozialstaat untersucht<br />

werden, so lassen sich zwei Dimensionen<br />

unterscheiden (Roller 1992: 41-42): Die eine<br />

betrifft die Frage, ob der Staat überhaupt für die<br />

Realisierung der grundsätzlichen wohlfahrtsstaatlichen<br />

Ziele sozio-ökonomische Sicherheit<br />

und Gleichheit zuständig sein soll (Extensität).<br />

Die zweite Dimension bezieht sich auf das ge-

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