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Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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42<br />

3.000 km 2 auf ganze 28 Mitglieder zurückgreifen<br />

(Schoon et al. 2006: 120f). Es ist darüber<br />

hinaus davon auszugehen, dass die Zahl der<br />

wirklich aktiven Mitglieder in den Parteien noch<br />

deutlich niedriger ausfällt. Für die SPD in Mecklenburg-Vorpommern<br />

gibt es beispielsweise<br />

Schätzungen, nach denen im ganzen Land nur<br />

ein Drittel aller Genossen (also ca. 1.000) überhaupt<br />

regelmäßig zu Parteiveranstaltungen geht. 3<br />

Für die Kreise reduziert sich somit die Zahl der<br />

in der Öffentlichkeit wirklich wahrnehmbaren<br />

Parteimitglieder nochmals beträchtlich.<br />

Vor diesem Hintergrund kann also kaum von<br />

einer gesellschaftlichen Verwurzelung der Parteien<br />

die Rede sein. Wenn diese aber nicht mehr<br />

erkennbar sind, weil es keine Personen gibt, die<br />

mit den Parteien in Verbindung gebracht werden<br />

können, bleiben Parteien anonyme Organisationen<br />

ohne Gesichter. Verschärft wird diese<br />

Problematik zudem gerade in den ländlichen und<br />

‚ländlichsten‘ 4 Regionen Ostdeutschlands durch<br />

eine hohe und selektive Abwanderung von jungen<br />

Menschen, Frauen und den gut Ausgebildeten,<br />

die zu einer intellektuellen und zivilgesellschaftlichen<br />

Verarmung dieser Gebiete führt.<br />

Von dem ungewollten ‚Rückzug‘ der demokratischen<br />

Parteien aus diesen Regionen profitiert<br />

nicht zuletzt die NPD, die – wie schon erwähnt<br />

– in Teilen Vorpommerns mit Stimmenanteilen<br />

von über 30 Prozent zur stärksten politischen<br />

Kraft werden konnte. Das ‚demokratische Vakuum‘,<br />

das die Parteien in diesen Regionen hinterlassen,<br />

öffnet antidemokratischen Kräften einen<br />

Handlungsspielraum, um durch zielgerichtete<br />

Kampagnen und vielfältige Maßnahmen eine<br />

Deutungshoheit auf kommunaler Ebene zu erringen.<br />

In einigen Landstrichen Vorpommerns<br />

war bezeichnenderweise während des Wahlkampfes<br />

kein einziges Plakat der demokratischen<br />

Parteien zu sehen, sondern nur diejenigen<br />

der NPD (Heinrich/Lehmann 2006).<br />

Angesichts dieser Lage ist es fraglich, ob<br />

die Parteien in Ostdeutschland ihre typischen<br />

Aufgaben und Funktionen überhaupt noch er-<br />

Steffen Schoon<br />

füllen und wahrnehmen können, zu denen nach<br />

von Beyme bekanntlich die Zielfindungsfunktion,<br />

die Artikulations- und Aggregationsfunktion,<br />

die Sozialisierungs- und Mobilisierungsfunktion<br />

sowie die Elitenrekrutierungs- und<br />

Regierungsbildungsfunktion gehören (Beyme<br />

1984: 25). Insbesondere hinter die Sozialisierungs-<br />

und Mobilisierungsfunktion, womit im<br />

Kern vor allem die Integrationskraft der Parteien<br />

gemeint ist, muss sicher ein Fragezeichen<br />

gesetzt werden. Negative Effekte sind auch auf<br />

die Elitenrekrutierung festzustellen. Zum einen<br />

fällt es den Parteien gerade auf der kommunalen<br />

Ebene enorm schwer, überhaupt Kandidaten für<br />

die zu vergebenden politischen Ämter und Mandate<br />

zu gewinnen. Zum anderen erhöht sich somit<br />

die Gefahr, dass junge und engagierte, aber<br />

objektiv wenig geeignete Mitglieder sehr schnell<br />

in verantwortungsvolle Positionen gelangen.<br />

Die Parteien in den neuen Ländern sind aufgrund<br />

des Mitgliedermangels zudem im hohen<br />

Maße finanziell abhängig von den Zuwendungen<br />

durch die Bundesverbände und letztlich von<br />

der Unterstützung des Staates. Mit Blick auf<br />

das ohnehin wenig ausgeprägte Ansehen der<br />

Parteien in der ostdeutschen Öffentlichkeit ist<br />

dieser Umstand sicherlich nicht unbedenklich.<br />

Die geringen Mitgliederzahlen der ostdeutschen<br />

Landesverbände haben natürlich auch<br />

negative Auswirkungen auf die Durchsetzung<br />

spezifisch ostdeutscher Interessen innerhalb der<br />

einzelnen Parteien. Dass mit Angela Merkel und<br />

Matthias Platzeck ausgerechnet zwei Ostdeutsche<br />

an der Spitze beider deutschen Volksparteien<br />

stehen bzw. standen, kann daher fast schon<br />

als Ironie der Geschichte gelten. In beiden Fällen<br />

lag dem persönlichen Aufstieg aber nicht<br />

die Hausmacht der eigenen Landesverbände<br />

zugrunde, sondern kurzzeitige, aber heftige Krisen<br />

in beiden Volksparteien.<br />

Erschwerend zur Mitgliederproblematik der<br />

Parteien kommt hinzu, dass auch die natürlichen<br />

Bündnispartner der Parteien im vorpolitischen<br />

Raum ebenfalls nur schwach in der ost-

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