Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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Parteiensystem im Umbruch?<br />
die durchweg vorsichtigen Akzentverschiebungen<br />
von den Wählern überhaupt wahrgenommen<br />
werden oder ob stattdessen der Eindruck<br />
der Kontinuität von ‚Reform‘- und Agenda-<br />
Politik überwiegt. Zum andern – und dies betrifft<br />
nun in besonderem Maße die SPD – bleibt<br />
offen, ob eine durchaus wahrgenommene, kurzfristige<br />
und ja immer nur partielle Korrektur<br />
eine über nahezu ein Jahrzehnt hinweg andauernde<br />
Entfremdung rückgängig machen kann,<br />
vor allem angesichts der Tatsache, dass nunmehr<br />
mit der Linkspartei für zahlreiche frühere SPD-<br />
Anhänger eine ‚SPD vor Schröder‘ – und das<br />
sogar mit dem passenden Vorsitzenden – bereitsteht.<br />
Vor diesem Hintergrund sollte man die Erfolgsaussichten<br />
der Bemühungen beider großen<br />
Parteien, durch diskrete Korrekturen am<br />
Programm- und Personalangebot wieder zur<br />
alten Volksparteistärke der 1980er und 1990er<br />
Jahre zurückzufinden, mit Skepsis betrachten.<br />
Es zeichnen sich nicht nur auf dem koalitionsarithmetischen<br />
Feld erhebliche Probleme ab, das<br />
Modell einer lagerübergreifenden Großen Koalition<br />
durch andere Koalitionen ablösen zu können.<br />
Auch der Strategie der beiden großen Parteien,<br />
durch programmatische und politische<br />
Kurskorrekturen zu annähernder alter Stärke<br />
zurück zu finden und damit wieder kleine Koalitionen<br />
auf der Basis der ideologischen Lager<br />
zu ermöglichen, stehen erhebliche Widerstände<br />
entgegen.<br />
Dies gilt in besonderem Maße für die SPD,<br />
die gleich zwei hohe Hürden zu überwinden<br />
hat. Zum einen geben die Umfragen der vergangenen<br />
beiden Jahre keinen Hinweis auf ein<br />
Wiedererstarken der Sozialdemokraten; vielmehr<br />
zeigt ein Blick auf die Umfragen seit 2003, dem<br />
Jahr der Agenda 2010, ein stabiles Dauertief,<br />
das lediglich im Bundestagswahlkampf unterbrochen<br />
wurde. Ob die Partei von Schröder,<br />
Müntefering, Platzeck oder Beck geführt wurde,<br />
die Distanz der Wähler zur SPD konnte zu<br />
keinem Zeitpunkt nachhaltig überwunden wer-<br />
33<br />
den. Dies nährt die Vermutung einer dauerhaften<br />
Entfremdung zumindest eines Teils der vormaligen<br />
Anhängerschaft. Zum andern lassen die<br />
tief sitzenden persönlichen Gegensätze zur<br />
Linkspartei die Rekonstruktion eines vormals<br />
mehrheitsfähigen, linken Lagers nicht zu, auch<br />
wenn die Verbindung von Linkspartei und Grünen<br />
als klassische Ost- und Westparteien unter<br />
gesamtdeutschen Integrationsaspekten interessante<br />
Perspektiven eröffnen könnte.<br />
Die Hinwendung zu lagerübergreifenden<br />
Dreierkoalitionen, sei es das Ampel- oder das<br />
Jamaika-Modell, setzt jeweils den ‚lagerfremden‘<br />
kleinen Koalitionspartner unkalkulierbaren<br />
Risiken im Blick auf die Standfestigkeit der<br />
eigenen Anhängerschaft aus. Die Wähler der<br />
Grünen haben zwar ein durchaus bürgerliches<br />
Sozialprofil, aber sie setzen weitgehend andere<br />
politische Prioritäten. Sie bewerten die Union<br />
durchgängig negativ, und entsprechend findet<br />
auch nur ein geringer Wähleraustausch zwischen<br />
diesen beiden Parteien statt (Lorenz 2007: 35/<br />
36). Eine Zusammenarbeit der SPD mit den Liberalen<br />
könnte zwar an die durchaus erfolgreiche<br />
Koalition zwischen 1991 und 2006 auf Landesebene<br />
in Rheinland-Pfalz anknüpfen, doch<br />
auf der Bundesebene gelten auch für dieses<br />
Bündnis die Restriktionen der Lagerbildung aus<br />
den zurückliegenden zweieinhalb Jahrzehnten.<br />
Hier hat sich die FDP kontinuierlich als wirtschaftsliberale<br />
Exponentin profiliert und demgegenüber<br />
ihre sozialliberalen Traditionen weitgehend<br />
verkümmern lassen. Die Parteiaustritte<br />
zahlreicher prominenter Sozialliberaler nach dem<br />
Ende der SPD-FDP-Koalition im Herbst 1982<br />
sind nie kompensiert worden. Hinzu kommt,<br />
dass eine Revitalisierung dieser Traditionen in<br />
Bündnissen mit den Sozialdemokraten in den<br />
Ländern wegen des weitgehenden Zusammenbruchs<br />
der SPD auf Länderebene in der Schröder-Ära<br />
in absehbarer Zeit kaum möglich erscheint.<br />
Aber auch zwischen den Liberalen und den<br />
Grünen zeichnen sich Konflikte in einer Am-