Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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<strong>Forschungsjournal</strong> NSB, Jg. 20, 4/2007<br />
Thomas Hauf<br />
Modernisierungen der Traditionskompanie<br />
Parteireformen in der SPD seit den 1990er Jahren 1<br />
1 Die Tradition kontinuierlicher<br />
Veränderung<br />
Seit der Gründung der SPD vor über 140 Jahren<br />
ist die Partei stetigem Wandel unterworfen.<br />
Getreu dem Prinzip einer lernenden Organisation<br />
steht sie regelmäßig vor der Frage, ob Organisation<br />
und programmatische Ausrichtung noch<br />
auf der Höhe der Zeit sind. In der Geschichte<br />
der SPD gilt die Revisionismusdebatte als erstes<br />
Beispiel eines Modernisierungsschubes der<br />
Partei. Eduard Bernstein trat schon im Jahre<br />
1898 der lange Jahre in der SPD herrschenden<br />
marxistischen – und scheinbar wissenschaftlich<br />
belegten – Überzeugung, der Kapitalismus<br />
werde sich von selbst überleben und der naturgesetzmäßige<br />
Übergang zum Sozialismus/Kommunismus<br />
sei nur noch eine Frage weniger Jahre,<br />
vehement entgegen und warb für dauerhafte<br />
Reformbemühungen.<br />
Notwendige Modernisierung auf Basis gewachsener<br />
Tradition – diesem Grundsatz folgen<br />
auch die weiteren Veränderungsprozesse<br />
sozialdemokratischer Politik und Parteiorganisation.<br />
Entschieden geschwächt durch das Verbot<br />
im Dritten Reich, entwickelt sich die SPD<br />
nach ihrer Wiedergründung in den Westzonen<br />
um den späteren Parteivorsitzenden Kurt Schumacher<br />
schnell wieder zur Massenpartei mit über<br />
700.000 Mitgliedern bei circa 8.000 Ortsvereinen.<br />
In der sowjetischen Besatzungszone wurde<br />
die SPD auch 1945 wiedergegründet, aber<br />
bereits 1946 mit der KPD zur SED zwangsvereinigt<br />
(Heimann 1993, 150ff; vgl. Lösche/Walter<br />
1992, 140ff). Dem kometenhaften Aufstieg<br />
aus den Kriegstrümmern folgt jedoch schnell<br />
die Ernüchterung: Bei schon Ende der 1940er<br />
Jahre wieder stark gesunkener Mitgliederzah-<br />
53<br />
len und Überalterung der Mitgliedschaft gelingt<br />
es der SPD nicht, außerhalb der Arbeiterschaft<br />
bei Wahlen und Mitgliedergewinnung nennenswert<br />
Fuß zu fassen und neue Schichten anzusprechen.<br />
Erster Schritt zur Modernisierung der ‚Traditionskompanie<br />
der Weimarer Sozialdemokratie‘<br />
(Lösche/Walter 1992) ist die Organisationsreform<br />
der SPD aus dem Jahre 1958. In Erkenntnis<br />
der Notwendigkeit, sich neue Zielgruppen<br />
zu erschließen, wurden unter anderem die<br />
Arbeitsgemeinschaften in den Parteistatuten<br />
verankert und die organisatorischen Voraussetzungen<br />
für das Godesberger Programms im<br />
Folgejahr 1959 geschaffen. Anstatt einer an der<br />
Arbeiterschaft orientierten Klassenpartei „[..]<br />
präsentierte sich die Partei endgültig als das,<br />
was sie de facto schon lange Zeit war: eine linke,<br />
sozial orientierte Volkspartei.“ (Hofmann<br />
1993: 262)<br />
In den 1960er Jahren konnte die SPD sich<br />
bei den Wahlen zum Deutschen Bundestag<br />
schrittweise verbessern, so dass sie erstmals<br />
1966 in eine von der CDU geführte Bundesregierung<br />
eintrat. 1969 übernahm die SPD zusammen<br />
mit der FDP bis 1982 die Regierungsverantwortung<br />
unter Kanzler Willy Brandt und<br />
ab 1974 unter Kanzler Helmut Schmidt. In dieser<br />
Zeit konnte die SPD einen erheblichen Mitgliederzuwachs<br />
verzeichnen, 1976 wurde die<br />
Millionengrenze bei den Mitgliedern übertroffen.<br />
Der große Mitgliederzuwachs speiste sich<br />
überwiegend auf den Eintritt junger, höher gebildeter,<br />
postmaterialistisch gesinnter Mitglieder.<br />
Die SPD gewann jetzt verstärkt Beamte<br />
und Angestellte als neue Mitglieder, die neuen<br />
Mittelschichten stellten ab 1968 die Mehrheit<br />
der Neumitglieder. Diese sozialstrukturellen