Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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54 Thomas Hauf<br />
Veränderungen angesichts der Tertiärisierung<br />
der Arbeitswelt waren bei den Funktionären<br />
besonders stark ausgeprägt, so dass die SPD<br />
einen innerparteilichen Modernisierungsschub<br />
in den Jahren 1969 bis 1976 erfährt, bei dem<br />
sich Mitgliedschaft und Funktionärskörper<br />
grundlegend erneuerten. Zusammenfassend ist<br />
festzustellen, dass die SPD in den 1970er Jahren<br />
verbürgerlichte, indem sie sich mehr zu einer<br />
Partei der neuen Mittelschichten wandelte,<br />
akademisierte indem vor dem Hintergrund der<br />
Bildungsexplosion der 1960er Jahre verstärkt<br />
Akademiker, Schüler und Studenten in die SPD<br />
eintraten und sich stark verjüngte.<br />
Die schon in den 1970er Jahren beginnende<br />
stärkere soziale und politische Heterogenisierung<br />
der SPD-Mitgliedschaft und die Tatsache,<br />
dass die SPD-geführte Bundesregierung ihrer<br />
Partei schmerzliche Entscheidungen abtrotzte,<br />
führte zu zunehmenden Konflikten in der SPD.<br />
Vielfach erwuchs eine starke Diskrepanz der<br />
stärker links-gerichteten, akademisierten Parteifunktionäre<br />
zu großen Teilen der arbeiter- und<br />
arbeitnehmerorientierten Mitgliedschaft.<br />
Die aufkommenden neuen sozialen <strong>Bewegungen</strong><br />
in den 1980ern begünstigten das Entstehen<br />
der neuen Partei der Grünen, die sich<br />
trotz der Hinwendung der SPD zur Umweltpolitik,<br />
dauerhaft etablieren konnte. Trotz Erfolgen<br />
bei Landtagswahlen in den 1980er Jahren,<br />
konnte die SPD die Regierungsverantwortung<br />
im Bund nicht wieder erreichen und bot ein desolates<br />
Erscheinungsbild.<br />
Auch aus der Wiedervereinigung konnte die<br />
SPD als Partei keinen organisatorischen Nutzen<br />
ziehen. Die ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen<br />
und die meisten Landtagswahlen<br />
in den neuen Ländern gingen klar verloren.<br />
Der Aufbau der SPD in den neuen Bundesländern<br />
gestaltete sich zäh, die Mitgliederzahl und<br />
-dichte im Osten erreichte bis heute nicht das<br />
westdeutsche Niveau. Insgesamt sind die Mitgliederzahlen<br />
rückläufig. Darüber hinaus zeichnet<br />
es sich Anfang der 1990er Jahre ab, dass es<br />
der PDS gelingen wird, sich als dritte große<br />
Partei in den neuen Bundesländern fest zu etablieren.<br />
Innerparteilich steht die SPD Ende der<br />
1980er Jahre zudem vor einem Generationswechsel<br />
in der Parteiführung. Hans-Jochen Vogel<br />
folgt im Jahr 1987 Willy Brandt als Parteivorsitzender,<br />
der 1987 nach über 20 Jahren im<br />
Amt nicht wieder zur Wahl antritt.<br />
Somit stand die SPD nach dem Verlust der<br />
ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990<br />
und der Vereinigung mit der SDP gleich vor<br />
mehreren Herausforderungen:<br />
• Aufbau der Partei in den neuen Bundesländern<br />
• Mitgliederverlust und Überalterung der Partei<br />
im Westen<br />
• Krise der SPD in den westdeutschen Großstädten<br />
• Generationswechsel in der Parteiführung<br />
Darüber hinaus war das Erscheinungsbild der<br />
SPD zu verbessern. Nicht umsonst wird zu dieser<br />
Zeit die SPD von Lösche und Walter als lose<br />
verkoppelte Anarchie (Lösche/Walter 1992:<br />
192) 2 bezeichnet; Kitschelt kommt zu dem<br />
Schluss „the SPD experienced organizational<br />
and strategic paralysis and indecisivness throughout<br />
the 1980s.“ (Kitschelt 1994: 247) Dieser<br />
Analyse kann sich sogar der damalige Bundesgeschäftsführer<br />
Karlheinz Blessing nicht verschließen;<br />
auch er beschreibt in der SPD mehrere<br />
Zentren der Meinungsbildung, so dass die<br />
SPD dezentralisiert und fragmentiert, mitunter<br />
sogar uneinheitlich erscheint (Blessing 2002:<br />
216).<br />
Eine Parteireform wird somit vor dem Hintergrund<br />
innerparteilicher Defizite notwendig,<br />
aber auch gesellschaftliche Wandlungsprozesse<br />
gilt es für die SPD zu bewältigen. Auf die zunehmende<br />
Individualisierung und Entstrukturierung<br />
der Gesellschaft, verbunden mit der<br />
immer stärkerer werdenden Erosion sozialer<br />
Milieus und gekoppelt mit einer wachsenden<br />
Skepsis gegenüber formalen Mitgliedschaften