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Vollversion (1.42 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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12<br />

– um einen Titel des amerikanischen Komponisten<br />

Charles Ives zu zitieren – „Variation on<br />

America“ verstanden haben.<br />

3. Wenn man sich die vergleichende Zeittafel<br />

ansieht, fällt noch eines ins Auge: Es gab seit<br />

der Gründung der Sozialdemokratie 1863 auf<br />

Regierungsebene nur in einem verhältnismäßig<br />

kurzen Zeitraum Gelegenheit zu sozialdemokratisch-amerikanischen<br />

Beziehungen. Dies hängt<br />

natürlich damit zusammen, dass von den bisher<br />

(d.h. bis 2008) vergangenen 145 Jahren nur<br />

relativ wenige die Sozialdemokratie in der Regierungsverantwortung<br />

gesehen haben. Nur in<br />

rund 23 dieser Jahre stellte sie den Regierungschef<br />

(1919-1920, 1928-30, 1969-82, 1998-<br />

2005), zusätzliche sechs (3+3) Jahre war sie<br />

vor und nach dem Zweiten Weltkrieg in nicht<br />

von ihr geführten Kabinetten durch Minister<br />

vertreten und so evtl. in der einen oder anderen<br />

Form an der Gestaltung deutscher Außen- und<br />

somit Amerikapolitik beteiligt. Und gar sozialdemokratische<br />

Außenminister gab es in der<br />

Weimarer Republik nur ein knappes Jahr lang<br />

(Müller und Köster, 1919-20), nach 1945 mit<br />

Willy Brandt drei Jahre lang (1969-72), und<br />

nun ist es Frank-Walter Steinmeier seit 2005.<br />

Ohne dass hier Schuldzuweisungen verteilt<br />

werden können und dürfen, muss man doch<br />

feststellen, dass die SPD seit ihrem Bestehen,<br />

je nachdem, welche Form der Regierungsbeteiligung<br />

man mitzählt, nur ca. 25 Jahre Zeit hatte,<br />

ihr Amerikabild und Amerikaverhältnis in der<br />

Regierungsverantwortung dem Praxistest zu<br />

unterziehen. Hinzu kommt, dass es, wie in der<br />

Literatur übereinstimmend betont wird, der SPD<br />

vor allem in den ersten Jahrzehnten generell an<br />

außenpolitischer Kompetenz gefehlt hat – ein<br />

Defizit, das man auch heute noch spürt. Und<br />

speziell was die Amerikakenntnis anbelangt,<br />

fehlt es heute sicher an so kompetenten Persönlichkeiten,<br />

wie der leider viel zu früh gestorbene<br />

Fritz Erler eine war.<br />

4. Ein weiterer, letzter Gedanke drängt sich<br />

bei der Betrachtung der vergleichenden Zeitta-<br />

Werner Kremp<br />

fel auf. Die Sozialdemokratie war ja einmal angetreten,<br />

Deutschland – und die Welt – nach<br />

ihrem Bild und Gleichnis zu formen; sie fühlte<br />

sich, und dies zur Jahrhundertwende sicher nicht<br />

ganz zu unrecht, als ,die stärkste der Parteien‘<br />

anerkannt und ob ihrer Stärke auch von den<br />

Bruderparteien bewundert. Aber in entscheidenden<br />

Momenten der deutschen Geschichte in diesem<br />

Jahrhundert – im Ersten Weltkrieg, im Zweiten<br />

Weltkrieg und im Kalten Krieg, insbesondere<br />

bei dessen endgültiger Beendigung durch die<br />

Wiedervereinigung – gab es einen Mitakteur,<br />

der mindestens so entscheidend auf das Schicksal<br />

und die Gestaltung Deutschlands Einfluss<br />

nahm wie die deutsche Sozialdemokratie, nämlich<br />

die USA. Noch deutlicher gesagt: Die entscheidenden<br />

– und unerlässlichen – Umstürze<br />

der deutschen politischen Ordnung hin zu mehr<br />

Freiheit (und zuletzt Einheit) sind, sehr vorsichtig<br />

gesagt, mindestens so sehr amerikanischem<br />

(militärischem und politischem) wie sozialdemokratischem<br />

revolutionärem Eingreifen zu<br />

verdanken. (Nebenbei gesagt: die Probleme, die<br />

die Sozialdemokraten mit der Frage des Einsatzes<br />

militärischer Macht haben, hängen auch damit<br />

zusammen, dass ihnen, wie den Deutschen<br />

insgesamt, bis vor kurzem die historische Erfahrung<br />

aktiver Partizipation an einer militärischen<br />

Aktion fehlte, die auf Freiheit anstatt auf<br />

Eroberung, Unterdrückung und Vernichtung<br />

abzielt. Freilich hätte man aber auch von der<br />

passiven Partizipation an einer solchen Aktion,<br />

als Objekt von Befreiung, lernen können!)<br />

Die Befreiung der Arbeiterklasse – von der<br />

autoritären Monarchie des Kaisers, von der Diktatur<br />

der Nazis, und von der kommunistischen<br />

Diktatur – war nicht das Werk der Arbeiterklasse,<br />

sondern des ,kapitalistischen‘ Amerikas (nicht allein,<br />

aber in hohem Maße). In der Tat: Mindestens<br />

dreimal in diesem Jahrhundert (1917, 1941, 1989)<br />

hing, um nochmals Marx’ Diktum aufzugreifen,<br />

„am Sternenbanner das Schicksal der Arbeiterklasse“<br />

– allerdings auf andere Weise als vom<br />

Erzvater gemeint. Und angesichts dessen liegt nun

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