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Witaj und 2plus - Sorbischer Schulverein e.V.

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D<br />

er amerikanische Zweitspracherwerbsforscher<br />

Ricardo Ruiz unterschied zwischen<br />

drei Ebenen, auf deren Hintergr<strong>und</strong> die Frage<br />

des Umgangs mit Zwei- <strong>und</strong> Mehrsprachigkeit<br />

zu diskutieren ist: Sprache als Defizit,<br />

Sprache als Recht <strong>und</strong> Sprache als Ressource<br />

(vgl. Ruiz 1984). Im Folgenden soll zunächst<br />

der Frage nachgegangen werden, wie sich<br />

diese Dimensionen auf die Situation sprachlicher<br />

Minderheiten in Deutschland <strong>und</strong> Europa<br />

anwenden lassen. Im Anschluss daran<br />

werden exemplarisch einige Ergebnisse aus<br />

der wissenschaftlichen Begleitung der sorbisch-deutschen<br />

Gr<strong>und</strong>schulen vorgestellt.<br />

Zweisprachigkeit als Defizit<br />

Die Diskussion über Sprachdefizite bei zweisprachigen<br />

Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen darf als<br />

bekannt voraus gesetzt werden. Weniger bekannt<br />

ist es, dass in dieser Hinsicht bis heute<br />

in Deutschland eine alte Tradition fortgesetzt<br />

wird: Schon lange gibt es nämlich durchaus<br />

einen nüchtern-positiven Blick auf Zweisprachigkeit<br />

– so sah z. B. der erste preußische<br />

Kultusminister Karl von Altenstein zwar die<br />

Notwendigkeit, dass die damalige polnischsprachige<br />

Bevölkerung die deutsche Sprache<br />

als Verkehrssprache erwerbe, aber durchaus<br />

nicht als Ersatz für ihre Muttersprache:<br />

«fi...fl der Besitz zweier Sprachen ist so<br />

wenig für einen Nachteil zu erachten,<br />

dass er vielmehr wie ein Vorzug betrachtet<br />

werden darf, da er in der Regel<br />

mit größerer Beweglichkeit der Verstandeskräfte<br />

<strong>und</strong> einer leichteren Auffassungsgabe<br />

verb<strong>und</strong>en zu sein pflegt»<br />

(zit.n.Gogolin/Krüger-Potratz 2006,56)<br />

Historische <strong>und</strong> aktuelle<br />

Perspektiven für Zwei<strong>und</strong><br />

Mehrsprachigkeit<br />

in Europa. Zum Beitrag<br />

sorbisch-deutscher<br />

Schulen mit bilingualem<br />

Unterricht.<br />

Allerdings setzte sich auch immer wieder<br />

eine negative Sicht durch, wie zum Beispiel<br />

durch den Ausdruck «Sprachverzwitterung»<br />

(vgl. ebd.); damit ist nicht anderes als Zweisprachigkeit<br />

gemeint. Interessanterweise<br />

thematisieren Diskurse, die Zweisprachigkeit<br />

negativ sehen, häufig individuelle Folgen<br />

für Kinder wie eine langsamere Sprachentwicklung,<br />

Sprachentwicklungsstörungen,<br />

allgemeines Zurückbleiben in der gesamten<br />

Entwicklung bis hin zur Krankheit, solche<br />

Diskurse tauchen jedoch auch immer dann<br />

auf, wenn es um politische Themen geht:<br />

Heute beobachten wir z. B. hinsichtlich der<br />

Zweisprachigkeit der Menschen mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

eine neoassimilationistische<br />

Debatte über die Familiensprachen von<br />

Migranten als Integrationshindernisse. Anstatt<br />

über eine sinnvolle Förderung <strong>und</strong> den<br />

Ausbau der Zweisprachigkeit zu sprechen,<br />

verschiebt sich die Diskussion auf den Mangel<br />

in nur einer Sprache. Die Folgerung lautet<br />

dann: mehr Deutsch statt: mehr Zweisprachigkeit!<br />

Diese Diskussion ist aber letztlich<br />

eine politische. Auch deren Kontinuität findet<br />

man historisch gut belegt: So erschien in<br />

der Zeitschrift «Der Schulrath an der<br />

Oder»1815 ein Artikel gegen die Zweisprachigkeit<br />

mit dem Ziel, «dieses Gezwitter zu<br />

vertilgen“, wobei sich Geistliche <strong>und</strong> Schullehrer<br />

die «Hand bieten»müssten, «wenn sie<br />

es redlich mit dem Vaterlande»meinten<br />

(ebd.). Aus diesem Impuls entstand im<br />

Preußen des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts eine repressive<br />

Sprachenpolitik, deren Motivation nicht in<br />

der Sorge um das Wohl des Individuums<br />

wurzelt(e), sondern in der Sorge um die<br />

nationale Einheit:

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