Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB 3/94 99<br />
Michael Bommes/Albert Scherr<br />
Migration und<br />
Dritte-Welt-Bewegung<br />
Nachfolgend wird die Dritte-Welt-Bewegung<br />
(DWB) als eine Bewegung verstanden, die als<br />
Thema das Verhältnis Erste/ Dritte Welt hat<br />
und ihren Protest gegen die Erste Welt mittels<br />
der Forderung nach „weltweiter Gleichheit und<br />
Gerechtigkeit" vorträgt 1<br />
. Ein Spezifikum dieser<br />
Bewegung besteht darin, daß sich aus der<br />
Konstruktion ihrer Thematik nicht zwanglos<br />
die Aufforderung ergibt, an der Bewegung deshalb<br />
teilzunehmen, weil man selbst Betroffener<br />
ist. Betroffenheit muß vielmehr erst erzeugt<br />
werden. Nicht nur ist die Dritte Welt<br />
nicht unmittelbar zugegen, sondern einzig als<br />
mediales Produkt präsent. Darüber hinaus bedeutet<br />
Nichtteilnahme am Protest Seitenwechsel:<br />
Als Bewohner der Ersten Welt und damit<br />
Nutznießer der Ausbeutung der Dritten Welt<br />
ist man immer auch zugleich Adressat für den<br />
Protest der Bewegung. Latent gilt diese Nutznießung<br />
für die Bewegungsteilnehmer selbst.<br />
Diese Gefahr des tu quoque-Vorwurfs, selbstkritisch<br />
von Bewegungsteilnehmern oft genug<br />
gegen sich selbst gerichtet, 2<br />
bildet den Hintergrund<br />
einer Präferenz für demonstrativ bescheidenen,<br />
nicht konsumistischen Lebensstil. 3<br />
Aber<br />
die kommunikativ stilistischen Lösungen für<br />
dieses Problem sollen uns hier nicht weiter<br />
interessieren, sondern wir wollen auf das Betroffenheitsproblem<br />
näher eingehen.<br />
1. Das Problem der Betroffenheitserzeugung<br />
Im Unterschied zu anderen, alten und neuen<br />
sozialen <strong>Bewegungen</strong> wie der Arbeiterbewegung,<br />
den Bürgerrechtsbewegungen, der Frauenbewegung,<br />
der Ökologie- und Friedensbewegung<br />
kann sich die DWB nicht als ein kollektiver<br />
Protest der von sozialen Konflikten und<br />
Problemen direkt betroffenen Bürger, als ein<br />
Protest der Opfer darstellen. Es gehört zu ihren<br />
Grundannahmen, daß die Bewohner der<br />
westlichen Industriestaaten von der Ausbeutung<br />
der sogenannten Dritten Welt profitieren. Mobilisierung<br />
von Protest gegen Verhältnisse, von<br />
denen unterstellt wird, daß diejenigen, die protestieren<br />
sollen, profitieren, kann nicht an materielle<br />
Interessen und egoistische Nutzenkalküle<br />
appellieren, sondern ist auf Moralisierung<br />
angewiesen. Eine grundlegende Mobilisierungsstrategie<br />
der DWB besteht deshalb darin<br />
aufzuweisen, daß und wie von politischen und<br />
ökonomischen Akteuren und Strukturen allgemein<br />
geteilte moralisch ethische Prinzipien von<br />
Gerechtigkeit und Gleichheit außer Kraft gesetzt<br />
werden. Die universalistische Formel<br />
„Gleichheit und Gerechtigkeit weltweit" ist für<br />
die Bewegung konstitutiv. Die vorgetragene<br />
Kritik beschränkt sich jedoch nicht auf entsprechend<br />
moralisch begründete Anklagen des<br />
Handelns politischer und ökonomischer Eliten