Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB - VL<br />
-'-<br />
im eigenen Lande erreichte, ist die Dritte-<br />
Welt-Bewegung auf eine moralische Konstruktion<br />
von Betroffenheit angewiesen, welcher es<br />
an Unmittelbarkeit mangelt. 6<br />
Die Sensibilisierung<br />
für globale Problemzusammenhänge<br />
und ein darauf bezogenes eigenverantwortliches<br />
Handeln bedürfen aufwendiger Begründungen<br />
eines öffentlichen Interesses, welches<br />
quer steht zu dem eingespielten Muster von<br />
an der Optimierung des Eigennutzens orientierter<br />
Interessenpolitik und dieser gegenüber<br />
strukturell durchsetzungsschwächer ist. Die<br />
weltpolitischen Umbrüche der letzten Jahre<br />
steigern diese Begründungsprobleme im<br />
Mobilisierungsdiskurs der Dritte-Welt-Bewegung<br />
zusätzlich. Die Konturen einer Problemanalyse<br />
von Ausbeutung, Unterentwicklung<br />
und Ungerechtigkeit in den Ländern der<br />
„Dritten Welt", die Ursachen, Lösungswege<br />
und vor diesem Hintergrund auch Protestadressaten<br />
markiert, werden unübersichtlicher.<br />
Auch hier ist ein Vergleich mit der Friedensbewegung<br />
hilfreich. Nach dem Ende der Ost-<br />
West-Konfrontation im Gefolge der osteuropäischen<br />
Umbrüche von 1989 haben der<br />
Golfkrieg und der Krieg im ehemaligen Jugoslawien<br />
zu tiefgreifenden Spaltungen (Bellizisten<br />
vs. Pazifisten) geführt. Auch die Dritte-<br />
Welt-Bewegung muß sich nach dem Zusammenbruch<br />
der „Zweiten Welt" neu verorten<br />
und steht vor neuen Fragestellungen. Diese<br />
betreffen nicht nur die entfachte Diskussion<br />
über das Ende der „Dritten Welt". Zu nennen<br />
sind etwa die gewachsene Aufmerksamkeit für<br />
nationalistische, rassistische oder ethnische<br />
Konflikte und der Streit um die Bewertung<br />
eines darauf reagierenden Menschenrechtsinterventionismus<br />
des Nordens unter UNO-<br />
Auftrag (bspw. in Somalia oder Ruanda) oder<br />
auch die notwendige Neueinschätzung von<br />
Demokratiebewegungen in den Ländern der<br />
„Dritten Welt", die dort die politischen Vor<br />
aussetzungen gesellschaftlicher Entwicklung<br />
thematisieren.<br />
Eher stabilisierend wirken angesichts der<br />
angesprochenen Unübersichtlichkeit der<br />
Problemanalyse hingegen die Anlehnungen<br />
der Dritte-Welt-Bewegung an die Themen der<br />
Ökologie- und Frauenbewegung, die in den<br />
80er Jahren ausgebaut worden sind: Die<br />
Globalität ökologischer Problemzusammenhänge<br />
nimmt in ihrem Mobilisierungsdiskurs<br />
mittlerweile einen zentralen Stellenwert ein,<br />
lassen sich doch hier noch am ehesten bestehende<br />
Aufmerksamkeitsmuster abrufen und<br />
für die Konstruktion von Betroffenheit in<br />
Anschlag bringen. Auch die Sensibilisierung<br />
für Fragen des Geschlechterverhältnisses<br />
durch die Frauenbewegung kann für globale<br />
Thematisierungsstrategien genutzt werden.<br />
Die anwachsende Bedeutung und auch innenpolitische<br />
Brisanz der Migrationsthematik<br />
eröffnet in den letzten Jahren zunehmend die<br />
Möglichkeit, auf politische, ökonomische und<br />
ökologische Ursachen der globalen Wanderungsbewegung<br />
hinzuweisen und politische<br />
Antworten der nördlichen Industriegesellschaften<br />
zu suchen, die sich von der derzeit<br />
dominierenden Festungsmentalität fortbewegen.<br />
Einwanderungspolitik und Entwicklungspolitik<br />
gewinnen als zusammengehöriges<br />
Politikfeld ßr die Dritte-Welt-Bewegung an<br />
Bedeutung. Zu beobachten ist vor diesem<br />
Hintergrund insgesamt eine reflexive Wendung<br />
der Diskussionen innerhalb der Dritte-<br />
Welt-Bewegung auf Fragen der" Entwicklung<br />
des Nordens " und zu den Problemstellungen<br />
einer globalen Strategiebildung von „ Weltinnenpolitik".<br />
Die hier in groben Zügen skizzierten inhaltlichen<br />
Konturen eines auf den Wandel von<br />
Problemstellungen und -deutungen bezogenen<br />
Diskurses der Dritte-Welt-Bewegung sind<br />
geprägt von tiefgreifenden Reorientierungsbe-