Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB 3/94 93<br />
litik und Familienplanung' des Bundesministeriums<br />
für Wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />
BMZ geht ein Jahr später noch einen Schritt<br />
weiter: „Die Versorgung der wachsenden Bevölkerung<br />
mit Nahrungsmitteln, Wasser und<br />
Energie wird einerseits die Umweltprobleme<br />
in den Entwicklungsländern weiter verschärfen<br />
(z.B. Waldzerstörung, Desertifikation) und<br />
andererseits zur weltweiten Umweltgefährdung<br />
mit beitragen (z.B. Klimaveränderung durch<br />
Emission von Kohlendioxid). Schließlich kann<br />
besonders hoher Bevölkerungsdruck unkontrollierte<br />
Wanderungsbewegungen in andere Länder<br />
und damit außenpolitische Konflikte auslösen,<br />
die den Weltfrieden gefährden können."<br />
Diese argumentative Verknüpfung wird im<br />
Weltbevölkerungsbericht von 1993 weiter ausgeführt,<br />
indem die Gefahren beschrieben werden,<br />
die durch Migration aus „überbesiedelten"<br />
Regionen ausgelöst werden können.<br />
Im September 1994 findet in Kairo eine weitere<br />
Weltbevölkerungskonferenz statt, diesmal<br />
unter dem Namen „Bevölkerung und Entwicklung".<br />
Zentrale Themen werden Migration und<br />
Flüchtlinge sein; aber auch andere Schwerpunkte<br />
wie Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung,<br />
Umweltzerstörung, Frauenförderung,<br />
Familienplanung und die Auswirkungen von<br />
Aids stehen auf der Tagesordnung. Im Weltaktionsplan,<br />
der dort verabschiedet werden soll,<br />
kommen voraussichtlich erstmals auch individuelle<br />
Belange vor: Einerseits sollen auf „lokaler<br />
Ebene effektivere Maßnahmen zur Befriedigung<br />
individueller Bedürfnisse und Wünsche<br />
eingesetzt werden", andererseits sollen -<br />
mit internationaler Unterstützung - „die nationalen<br />
Politikmaßnahmen und Programme effektiver<br />
werden, um das Bevölkerungswachstum<br />
in ein Gleichgewicht mit den zur Verfügung<br />
stehenden Ressourcen zu bringen". 2<br />
Damit scheint eine wichtige Forderung der Kritikerinnen<br />
von Bevölkerungspolitik aufgenom<br />
men worden zu sein. Schon bildet sich in ihren<br />
Reihen eine Position heraus, die Bevölkerungspolitik<br />
generell für reformierbar hält und deshalb<br />
eine „feministische Bevölkerungspolitik"<br />
fordert.<br />
2. Die Gegnerinnen von<br />
Bevölkerungskontrolle<br />
Seit Programme zur Bevölkerungskontrolle<br />
durchgeführt werden, werden diese von Frauen<br />
kritisiert. Insbesondere diejenigen, die unmittelbar<br />
davon betroffen sind, haben ihre konkreten<br />
negativen Erfahrungen thematisiert.<br />
Grundlegende und zusammenhängende Kritik<br />
an der Bevölkerungspolitik wurde aber erst in<br />
den 70er Jahren entwickelt. Die 70er Jahre<br />
sind u.a. das Jahrzehnt, in denen in der entwicklungspolitischen<br />
Auseinandersetzung die<br />
Bedeutung der Frauen für die gesellschaftliche<br />
Entwicklung „entdeckt" wurde. Nachdem<br />
Esther Boeserup ihre Studien über die ökonomische<br />
Rolle der Frauen in Afrika, Asien und<br />
Lateinamerika 1<br />
veröffentlicht hatte, setzte ein<br />
Umdenkprozeß ein, in dessen Verlauf die vielfältigen<br />
Tätigkeiten der Frauen und ihre tragende<br />
Rolle bei der Nahrangsmittelproduktion<br />
und für die familiäre Reproduktion sichtbar<br />
wurde. Der „koloniale Blick" auf die Gesellschaften<br />
Afrikas, Asiens und Lateinamerikas<br />
hatte die Frauenarbeit schlichtweg zum blinden<br />
Flecken werden lassen. Unreflektiert wurde<br />
davon ausgegangen, daß die geschlechtliche<br />
Arbeitsteilung ebenso aussähe wie in den<br />
Industrieländern. In der Folgezeit wurden viele<br />
empirische Studien veröffentlicht, die die<br />
Unterschiedlichkeit belegten. Dabei wurde der<br />
Blick geschärft für die vielen strukturellen und<br />
faktischen Benachteiligungen, denen Frauen in<br />
Entwicklungsländern ausgesetzt sind. Die 1.<br />
Weltfrauenkonferenz 1975 und die gleichzeitig<br />
ausgerufene UN-Frauendekade trugen zu<br />
einer größeren Verbreiterung des Bewußtseins<br />
über die Bedürfnisse von Frauen bei. Die Ka-