Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
FORSCHUNGSJOURNAL NSB 3/94 97<br />
Zusammenhang zu stellen", und der „Versuch<br />
der Akzeptanzschaffung für bevölkerungspolitische<br />
Programme mit der Forderung nach dem<br />
Einbezug von Basisfrauenorganisationen in<br />
deren Planung und Durchführung".<br />
Die Einschätzungen darüber, ob eine Annäherung<br />
der beiden Positionen möglich ist, gehen<br />
auseinander. Christa Wichterich sieht z.B. trotz<br />
"der aktuellen Kontroverse und dem immer noch<br />
großen begrifflichen Klärungsbedarf einen sich<br />
abzeichnenden Minimalkonsens in der internationalen<br />
Frauendebatte und einen Willen zur<br />
Verständigung. Als Elemente, auf deren Grundlage<br />
eine konstruktive Auseinandersetzung weitergeführt<br />
werden kann, sieht sie:<br />
- die Ablehnung monokausaler Verknüpfungen<br />
von Bevölkerungswachstum als Ursache<br />
für Armut, Hunger, Umweltzerstörung<br />
und Migrationsbewegungen;<br />
- die Ablehnung demographischer Zielvorgaben<br />
zur Senkung der globalen Fruchtbarkeitsrate;<br />
- keine Abstriche vom Prinzip der Freiwilligkeit;<br />
- Ausweitung der Kontroll- und Handlungsmöglichkeiten<br />
von Frauen durch einen Zuwachs<br />
von Verhandlungsmacht und Verfügungsrechten<br />
in allen Bereichen des Lebens;<br />
- Verzicht auf die Entwicklung und den Einsatz<br />
von Verhütungsmitteln, die nicht mehr<br />
der Kontrolle der Frauen unterliegen und<br />
mit einem hohen Gesundheitsrisiko einhergehen.<br />
11<br />
Die Frauen, die Bevölkerungspolitik prinzipiell<br />
nicht für reformierbar halten, befürchten<br />
statt einer Annäherung vielmehr eine weitere<br />
Spaltung auf Seiten der Kritikerinnen. Sie ver<br />
muten, daß mit dem Aufgreifen individueller<br />
Belange, wie sich dies u.a. für die UN-Konferenz<br />
in Kairo abzeichnet, die internationale Bevölkerungslobby<br />
durchaus bewußt ein Dialogangebot<br />
macht, das radikalere und weniger radikale<br />
Frauen auf allen Kontinenten spalten<br />
soll. In dem Maße, in dem die einen dann<br />
integriert werden, werden die anderen weiter<br />
ausgegrenzt.<br />
Auch bei anderen Themen der Solidaritätsbewegung<br />
gab es in der Vergangenheit heftige<br />
Kontroversen, etwa wenn es um die Frage des<br />
bewaffneten Kampfes in El Salvador oder die<br />
Politik von IWF und Weltbank ging. Trotz aller<br />
inhaltlichen Differenzen kam es nie zu einer<br />
völligen Entsohdarisierung, ggfs. praktizierte<br />
man bzw. frau ein relativ unverbundenes<br />
Nebeneinander. Gegenwärtig gibt es keinen<br />
Grund anzunehmen, daß dies bei der Debatte<br />
um Bevölkerungspolitik anders sein wird. Diese<br />
Annahme resultiert u.a. aus der These, daß die<br />
herrschende Politik den wesentlichen Bezugsrahmen<br />
der Argumentationen der Solidaritätsbewegung<br />
darstellt. Diese wird einer kritischen<br />
Betrachtung und daraus abgeleiteten Abgrenzung<br />
unterworfen, die entscheidend für die eigene<br />
Identitätsfmdung ist. Dieses Grundverständnis<br />
teilt man mit anderen Opponenten, so<br />
daß die Übereinstimmung untereinander letztlich<br />
immer noch größer ist, als die mit der<br />
herrschenden Politik.<br />
Auch bei der dargestellten Diskussion um Bevölkerungspolitik<br />
handelt es sich - so die These<br />
- die noch im Detail zu beweisen wäre, um<br />
eine Art Reiz-Reaktionsschema. Während der<br />
„Mainstream" Bevölkerungspolitik unter herrschaftstechnokratischen<br />
Gesichtspunkten befürwortet<br />
und weiterentwickelt, antworten die Kritikerinnen<br />
mit wohlmeinenden Gegenargumenten,<br />
die die Perspektive „von unten" einnehmen<br />
sollen. Gemeinsam ist beiden Seiten, daß<br />
sie von der Annahme ausgehen, Weltverhält-