Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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108 FORSCHUNGSJOURNAL NSB 3/94<br />
Thematisierung der Ursachen von Migration<br />
verstellt, sondern die Form der drohenden<br />
Protestkommunikation teilt mit Argumentationsfiguren<br />
im rechten Spektrum, wo ebenfalls<br />
Fluten, Ströme und Stürme gesehen werden,<br />
den Blick auf Migration. Einzig die moralische<br />
Schlußfolgerung ist eine andere, biblische:<br />
„Werdet gerecht!" Aber bereits die Kirchen<br />
waren nicht sonderlich erfolgreich mit<br />
dem Versuch, Gerechtigkeit (und Glauben) mit<br />
Drohungen zu erreichen.<br />
2) Die skizzierte moralisierende Protestkommunikation<br />
zur Betroffenheitserzeugung wird<br />
aber zugleich eingesetzt, um jeden politischen<br />
Organisationsvorschlag zur Gestaltung von<br />
Migration unter Verdacht zu stellen:<br />
„Wer die vielfältige Verantwortung der westlichen<br />
Industrieländer für die heutigen Fluchtbewegungen<br />
anerkennt (Waffenlieferungen, Welthandel<br />
und Verschuldung, weltweite Umweltzerstörung...),<br />
kann nicht ernsthaft dafür plädieren,<br />
daß sich die Industrieländer vor den<br />
Konsequenzen dieser Verantwortung abschotten.<br />
Und nichts anderes bedeutet die mit den<br />
Einwanderungsgesetz-Vorschlägen geforderte<br />
„Sozialverträglichkeit" der Zuwanderungen: Es<br />
sollen nur so viele Menschen einwandern dürfen,<br />
daß unser Lebensstandard erhalten bleibt,<br />
der Arbeitsmarkt nicht durcheinandergerät und<br />
das soziale Netz nicht gefährdet wird. Kein<br />
Wort darüber, daß die jahrhundertelange Ausplünderung<br />
durch Kolonialherren, Konzerne<br />
und Banken, die Unterstützung von Diktaturen<br />
und Kriegen durch westliche Regierangen,<br />
dieser sozial und ökonomisch so „unverträglichen"<br />
Zustände hervorgerufen haben, die derzeit<br />
5 Mio. Menschen weltweit auf der Suche<br />
nach Arbeit, Brot und Überleben zur Flucht<br />
treiben" (Merk 1993, S. 33).<br />
In der Konsequenz dieser Argumentation ist<br />
jeder Versuch der politischen Regulierung von<br />
Migration moralisch diskreditiert. Bereits Fragen<br />
nach den sozialen, politischen und ökonomischen<br />
Folgen offener Grenzen für die Erste<br />
und für die Dritte Welt gelten als illegitim (vgl.<br />
Scherr 1992). Für Bewegungskommunikation<br />
ist dies insofern funktional, als nicht nur Migration<br />
Betroffenheit erzeugt, sondern damit<br />
zugleich jede Migrationspolitik Anlaß für Protestkommunikation<br />
bietet. Das bedeutet aber<br />
zugleich die Verabschiedung aus jeder Politik.<br />
Dies wird auch von Bewegungsteilnehmern<br />
gesehen, wie uns Erfahrungen aus der Teilnahme<br />
an Debatten solcher Imtiativen lehren. Man<br />
sieht, daß die moralische Diskreditierung jedes<br />
Regelungsversuches das Ende der Politik<br />
bedeutet. Jeder konkrete Vorschlag der Regelung<br />
wird aber zugleich sofort als „ungerecht"<br />
kritisiert. Dies aber zeigt nur ein weiteres Mal<br />
die Limitierungsformel der DWB-Kommunikation,<br />
durch die jede Thematisierung, also<br />
auch die von Migration hindurch muß: „Gleichheit<br />
und Gerechtigkeit weltweit."<br />
Dr. Michael Bommes, Hochschulassistent für<br />
Soziologie am Fachbereich Sozialwissenschaften<br />
und Mitglied des „Instituts für Migrationsforschung<br />
und interkulturelle Studien" (IMIS)<br />
der Universität Osnabrück.<br />
Prof. Dr. Albert Scherr, Professor für Soziologie<br />
an der Fachhochschule Darmstadt.<br />
Anmerkungen<br />
'Zur ausführlichen Begründung vgl. Bommes/Heuer<br />
in diesem Heft.<br />
2<br />
"Wir stehen auf der einen Seite der Barrikade,<br />
auf der Seite der Festungsbewohnerinnen, sympathisieren<br />
aber offen mit den in die Festung Fliehenden.<br />
Das Dilemma: Im strukturellen Rassismus<br />
begründet, können eine 'schwarze' und eine<br />
'weiße' Realität derzeit nicht deckungsgleich wer-