Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB 3/94 51<br />
giert und - möglicherweise - verändert hat.<br />
Ohne auf die Entwicklung der westdeutschen<br />
Dritte-Welt-Bewegung einzugehen, 6<br />
soll herausgestellt<br />
werden, wo Gemeinsamkeiten und<br />
Unterschiede zwischen ost- und westdeutscher<br />
Solidaritätsbewegung auszumachen sind.<br />
1. Realsozialismus und unabhängige<br />
Solidaritätsgruppen<br />
Die Entstehung von zu den offiziellen SED-<br />
Strukturen in Opposition stehenden unabhängigen<br />
Solidaritätsgruppen ging auf eine tiefgreifende<br />
Kritik an der staatlichen Entwicklungs-<br />
und offiziellen Solidaritätspolitik 7<br />
zurück<br />
Abgelehnt wurde die Reduzierung der<br />
Solidarität auf die Traditionen und Inhalte der<br />
kommunistisch geprägten Arbeiterbewegung<br />
und ihre strikte Bindung an SED und Staat.<br />
Opponiert wurde insbesondere gegen die Unterordnung<br />
des Solidaritätsgedankens unter die<br />
Außenpolitik (und seit den 80er Jahren zunehmend<br />
unter die Wirtschaftspolitik), die in ihrer<br />
Folge zu Ausgrenzungspraktiken gegen alle<br />
führte, die eine andere Auffassung von Solidarität<br />
vertraten. Durch die zentralistisch-bürokratische<br />
Solidaritätspolitik der SED wurden<br />
basisdemokratische Aktionsformen verhindert.<br />
Dissens entsprang schließlich aus der Tatsache,<br />
daß die Offiziellen der DDR die Solidaritätsarbeit<br />
nie als eine Form der Nord-Süd-Politik<br />
verstanden, bei der auch der Norden selbst<br />
(konkret: die eigene, sozialistische Gesellschaft)<br />
verändert werden muß. Die unabhängigen<br />
Dritte-Welt-Gruppen hatten nicht nur einen<br />
karitativen Anspruch. Seit den 70er Jahren<br />
war die Solidaritätsarbeit im wachsenden Maße<br />
auch Mittel zur Reflexion über die Unzulänglichkeiten<br />
des eigenen, realsozialistischen Entwicklungsmodells.<br />
Der Anspruch, konträr zur offiziellen Solidaritätsarbeit<br />
zu stehen, konnte aber nur bedingt in<br />
praktisches Handeln umgesetzt werden. Das<br />
Bestreben, den Eisernen Vorhang durch eine<br />
selbständige internationalistische Arbeit zu<br />
durchbrechen, die Bemühungen, den allgegenwärtigen<br />
Zentralismus mit dem Aufbau basisdemokratischer<br />
Organisationen und der Entwicklung<br />
von Aktionsformen zu unterlaufen,<br />
sowie der Wunsch, zur staatsoffiziellen Politik<br />
in Opposition zu stehen, führten zu massiven<br />
Behinderungen durch das SED-System. Erst<br />
Ende der 60 Jahre konnten sich erste oppositionelle<br />
Solidaritätsgruppen wie die Aktion Lepradorf,<br />
ein 1968 gegründeter Arbeitskreis der<br />
katholischen Studentengemeinde Magdeburg,<br />
bilden. Bis zum Ende der DDR entstanden<br />
und arbeiteten diese Gruppen meist unter dem<br />
Dach der Kirchen, da diese den notwendigen<br />
Freiraum für oppositionelle Aktivitäten boten.<br />
Anfang der 70er Jahre zeigte sich zunehmend,<br />
daß die oppositionellen Solidaritätsgruppen<br />
nicht nur kirchlich-karitativ motiviert waren.<br />
Dies wurde vor allem mit die Gründung des<br />
MKOZÄ-Netzwerkes (Information, Koordination,<br />
Tagung - Netzwerk e.V.) 1972 deutlich.<br />
INKOTA war ein Zusammenschluß von in der<br />
DDR unter dem Dach der evangelischen Kirche<br />
wirkender Dritte-Welt-Gruppen. Mit IN<br />
KOTA entstand - trotz der organisatorischen<br />
Verbindung zur Kirche - die erste größere und<br />
weltlich orientierte Nichtregierungsorganisation<br />
(NRO). Das Netzwerk wurde mit dem Anspruch<br />
ins Leben gerufen, die Arbeit der Gruppen<br />
zu koordinieren. Über eine gezielte Informationstätigkeit<br />
sollte das Bewußtsein für den<br />
Gedanken einer Veränderung des Nordens geschaffen<br />
werden. Damit änderte sich auch die<br />
Zielsetzung der Arbeit im Süden. Es ging nicht<br />
mehr nur um eine Hilfe für die Armen und<br />
Schwachen. Im Mittelpunkt stand jetzt die entwicklungspolitische<br />
Aufklärungsarbeit in der<br />
DDR und die Unterstützung radikaler Umbauprozesse<br />
in den Entwicklungsländern. Die Solidaritätsarbeit<br />
orientierte sich dabei an dem<br />
Leitbild eines „menschlichen Sozialismus".