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102 FORSCHUNGSJOURNAL NSB 3/94<br />

stallisieren sich lange Zeit um ein Pro oder<br />

Kontra zur „Multikulturellen Gesellschaft" (vgl.<br />

Radtke 1990). In Ergänzung zu dieser Perspektive<br />

des Multikulturalismus - und zum Teil<br />

bereits in Kritik dieser Perspektive - wird darüber<br />

hinaus seit einiger Zeit, insbesondere seit<br />

den Ereignissen in Hoyerswerda, Rostock,<br />

Mölln, Solingen und Magdeburg, verschärft<br />

die Frage gestellt, ob die modernen westlichen<br />

Gesellschaften, die sich und ihren Wohlstand<br />

gegen Migranten und Flüchtlinge abschotteten,<br />

nicht „strukturell rassistisch" seien (vgl.<br />

Argument Sonderband Nr. 201, 1991; AG 501<br />

1993).<br />

Zu beiden Komplexen - „Multikulturelle Gesellschaft"<br />

und „Rassismus" - gibt es eine<br />

kaum mehr überschaubare Vielfalt an Literatur.<br />

Im Kontext der DWB sind die Stellungnahmen<br />

dazu uneinheitlich und reichen von<br />

der Favorisierung der Förderung der Toleranz<br />

und des Verständnisses zwischen „den Kulturen"<br />

bis zur Kritik des Multikulturalismus als<br />

„kulturalistischem Rassismus". 6<br />

Eignet sich<br />

Migration als Thema für die DWB aus den<br />

oben skizzierten Gründen, so findet die Bewegung<br />

schnell Anschluß an die Debatte um die<br />

multikulturelle Gesellschaft insofern, als die<br />

Thematisierung von Kultur im Kontext der Kritik<br />

internationaler Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse<br />

selbst bereits eine zunehmende<br />

Rolle gespielt hatte.<br />

3.1. Der Kulturdiskurs der DWB<br />

Die Kritik der staatlichen Entwicklungspolitik<br />

war noch in den 70er Jahren wesentlich durch<br />

den Versuch gekennzeichnet, den theoretisch<br />

fundierten Nachweis zu erbringen, daß nicht<br />

die von Modernisierungstheorien behauptete<br />

kulturelle Rückständigkeit der Länder der sogenannten<br />

Dritten Welt die Ursache von Armut<br />

und Elend sei. Nicht das kulturell bedingte<br />

Fehlen „schöpferischer und unternehmeri­<br />

scher Menschen", die möglicherweise in manchen<br />

Entwicklungsländern niedrige „Bereitschaft<br />

der Menschen zur Leistung" 7<br />

sollten ursächlich<br />

verantwortlich gemacht werden - also<br />

das Ausbleiben einer Parallelentwicklung zu<br />

der von Max Weber (1972) analysierten Durchsetzung<br />

der protestantischen Ethik und ihrer<br />

Säkularisierung -, sondern die durch Ausbeutung<br />

ökonomisch bedingte und durch internationale<br />

politische Herrschaftsverhältnisse stabilisierte<br />

Weltordnung. Auch hierin war zunächst<br />

die Attraktivität solcher Entwicklungstheorien,<br />

die sich grundlegend auf die<br />

Marxsche Kritik der politischen Ökonomie bezogen,<br />

begründet. Seit Beginn der 80er Jahre<br />

steht dem die verstärkte Berücksichtigung kultureller<br />

Aspekte im Diskurs kritischer Entwicklungstheoretiker<br />

und der DWB gegenüber.<br />

Die für diesen Perspektivenwechsel relevanten<br />

Gründe und Ursachen sind komplex: Bedeutsam<br />

war zum einen die im Kontext der Ökologiebewegung<br />

formulierte Kritik der westlichen<br />

Industriegesellschaften. Die Behauptung der<br />

grundsätzlichen Überlegenheit des Entwicklungsmodells<br />

der wohlfahrtsstaatlich abgesicherten<br />

Industrialisierung wurde mit Verweis<br />

auf „ökologische Grenzen des Wachstums" in<br />

Frage gestellt. Vorstellungen eines einfachen,<br />

mit der Natur versöhnten Lebens gewannen in<br />

diesem Kontext an Attraktivität (vgl. etwa Ullrich<br />

1979). Damit eröffnete sich zugleich eine<br />

neue Sichtweise der sog. primitiven Gesellschaften:<br />

Sie konnten nunmehr als Modelle<br />

für ökologische Lebensweisen, als Reservate<br />

von Kulturen betrachtet werden, die noch im<br />

Einklang mit der Natur zu leben wissen. Einschlägig<br />

für entsprechende Tendenzen war z.B.<br />

die weite Verbreitung popularisierter Varianten<br />

der Naturmythologien indianischer Völker.<br />

Damit verbanden sich zweitens - vor dem Hintergrund<br />

der Ausweitung der Ökologie zur Altemativbewegung<br />

- umfassendere „Versuche,<br />

der Zivilisation zu entkommen" (Greverus/

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