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FORSCHUNGSJOURNAL NSB 3/94 83<br />

Charta der VN), die, wie in der Präambel der<br />

Charta erneut bekräftigt wird, auf der<br />

„Gleichberechtigung von allen Nationen, ob<br />

groß oder klein" fußt. 14<br />

Territorialstaat und Souveränität wurden damit<br />

zum Ausgangspunkt und Leitbegriff der<br />

Dekolonisierung nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

nicht nur für die neuen Eliten in den unabhängig<br />

werdenden Staaten, sondern auch für die<br />

Solidaritätsengagierten mit „anti-eurozentristischen<br />

und anti-imperialistischen" 15<br />

Absichten.<br />

Die Staaten können sich zudem auf das<br />

„Selbstbestimmungsrecht der Völker" berufen,<br />

das an zwei Stellen der Charta der VN (Art. 1<br />

Abs. 2 und im Art. 55) genannt wird. Auch<br />

beide Menschenrechtspakte, der über bürgerliche<br />

und politische (IPBPR) und der über wirtschaftliche,<br />

soziale und kulturelle Rechte<br />

(IPWSKR), erklären in ihrem ersten Artikel<br />

übereinstimmend: ,Alle Völker haben das<br />

Recht auf Selbstbestimmung" 16<br />

, d.h. „das<br />

Recht, ohne Eingriff von außen über ihren politischen<br />

Status zu entscheiden und ihre wirtschaftliche,<br />

gesellschaftliche und kulturelle<br />

Entwicklung frei zu verfolgen". 17<br />

Interventionen<br />

von außen werden durch dieses Recht zunächst<br />

ausgeschlossen.<br />

Gerade das Selbstbestimmungsrecht der Völker<br />

18<br />

wurde und wird von den neuen Territorialstaaten<br />

genutzt, um sich alter und neuer Interventionen<br />

und Mitsprache von außen zu erwehren.<br />

In der Solidaritätsszene wurde das Selbstbestimmungsrecht<br />

der Völker zu einem der wichtigsten<br />

appellativen Instrumente für die Unterstützung<br />

von Unabhängigkeitsbewegungen und<br />

für den Schutz neuer Staaten gegenüber<br />

neokolonialistischen Einmischungen. Während<br />

also in der Solidaritätsszene immer eine insgesamt<br />

positive Grundhaltung gegenüber dem<br />

souveränen Staat - im beschriebenen anti-euro-<br />

zentristischen Sinne - bestand, beginnt Menschenrechtsarbeit<br />

grundsätzlich mit der Einschränkung<br />

von Souveränitätsrechten des Staates.<br />

Lange Zeit versuchten konservative Völkerrechtler,<br />

gegen die universelle Geltung von<br />

Menschenrechten zu argumentieren, indem sie<br />

betonten, daß die Charta der VN kein einziges<br />

konkretes Menschenrecht mit Verpflichtungen<br />

beschreibe. Doch selbst die Charta erklärt in<br />

zwei Artikeln ausdrücklich die Förderung der<br />

Menschenrechte zu ihrem Hauptanliegen (Art.<br />

13 und Art. 55c). Zudem liegen inzwischen<br />

viele kodifizierte Texte mit ausdrücklicher Erwähnung<br />

der Menschenrechte vor. Ferner wurden<br />

die grundsätzlichen Menschenrechte in fast<br />

allen modernen Verfassungen umfänglich als<br />

Referenzpunkte eingebaut, so daß die Menschenrechte<br />

- als Hauptziel der Vereinten Nationen<br />

- nicht mehr in Frage gestellt werden.<br />

Die Völkerrechtslehre stand und steht trotzdem<br />

vor dem Dilemma, daß der internationale<br />

Menschenrechtsschutz auf der Grandlage des<br />

geltenden Völkerrechts verwirklicht werden<br />

muß: Ist inzwischen auch anerkannt, daß für<br />

die Staaten eine Verpflichtung zur Anerkennung<br />

der Menschenrechte gilt, so müssen doch die<br />

betreffenden Rechte wiederum von den Nationalstaaten<br />

durchgesetzt werden. Die Bemühungen<br />

der Völkerrechtslehre und der Menschenrechtsbewegung<br />

richten sich also darauf, diese<br />

Souveränitätsschwelle zu überwinden. Die einschlägigen<br />

Satzungsbestimmungen (UN-Charta)<br />

„haben rechtlich die Bedeutung, daß die<br />

Achtung von Menschenrechten dem Vorbehalt<br />

für die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten<br />

(Art. 2 Ziff. 7) entzogen wird" 19<br />

.<br />

Aufbauend auf dieser vom Völkerrecht gewährten<br />

Autonomie und Selbstbestimmung der Staaten<br />

waren es während der Weltkonferenz in<br />

Wien vor allem asiatische Staaten, die die nationale<br />

Selbstbestimmung über den Universalitätsanspruch<br />

der Menschenrechte stellten. Im

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