Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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76 FORSCHUNGSJOURNAL NSB 3/94<br />
Michael Windfuhr<br />
Die Menschenrechtsfrage<br />
als 'Blinder Fleck' der<br />
Dritte-Welt-Bewegung<br />
1. Rituale linker Selbstbeschimpfung<br />
Menschenrechte als „blinder Fleck" der Dritte-Welt-Bewegung:<br />
Ein weiterer neuer Globalvorwurf<br />
an die nationalen Streiter für internationale<br />
Solidarität und Gerechtigkeit, eine neue<br />
Legitimationshypothek für den moralisch engagierten<br />
Teil der neuen sozialen <strong>Bewegungen</strong><br />
in Deutschland? Die <strong>Bewegungen</strong> werden nicht<br />
gerade verwöhnt in diesen Tagen. Der Friedensbewegung<br />
wurde erst zu Golfkriegszeiten<br />
die moralische Legitimation ihres Engagements<br />
vehement streitig gemacht. Die Auseinandersetzungen<br />
über den Einsatz deutscher Soldaten<br />
als „Blauhelme" oder im Rahmen militärischer<br />
Einsätze sowie über die neue Rolle<br />
Deutschlands nach der Vereinigung lahmen zudem<br />
nicht nur Teile der Friedensbewegung,<br />
sondern auch der Dritte-Welt-Bewegung nachhaltig.<br />
Nicht viel besser als mit den „Golfbewegten"<br />
geht die linke Intelligenzia inzwischen<br />
mit der Dritte-Welt-Bewegung 1<br />
ins Gericht.<br />
Ulrich Menzel wirft ihr Uninformiertheit und<br />
Orientierung an alten Mythen vor, wenn er<br />
z.B. formuliert, daß in ihr „das Mißverhältnis<br />
zwischen theoretischem Anspruch und<br />
tatsächlichem Kenntnis- und Erkenntnisstand<br />
aber besonders kraß" sei. Die Theoriebildung<br />
finde längst in einem begrenzten Kreis von<br />
Akademikern statt. Demgegenüber hielten sich<br />
in der Bewegung „die ganz radikalen Versionen<br />
bestimmter Mythen und Vorurteile...". 2<br />
Reimer Gronemeyer und Claus Leggewie sehen<br />
die noch Aktiven bei der Verteidigung der<br />
letzten der drei ehemaligen Säulen linker<br />
Selbstgewißheit (nachdem der Antikapitalismus<br />
und der Antifaschismus schon weggebrochen<br />
sind), des Antikolonialismus, in protestantischer<br />
Selbstanklage erstarren. Der Antikolonialismus<br />
wird bei ihnen sogar zu einer Motivationshaltung,<br />
die „reine Verantwortungslosigkeit"<br />
hervorgebracht hat, und indirekt werden damit<br />
Dritte-Welt-Engagierte zu Mitverantwortlichen<br />
für Menschenrechtsverletzungen gestempelt. 3<br />
Inzwischen folgen Teile der bundesdeutschen<br />
Öffentlichkeit damit einer Kritik, die in Frankreich<br />
von Intellektuellen wie Andre Glucksmann,<br />
Pascal Bruckner und Alain Finkelkraut<br />
seit Jahren an den „Internationalisten" geübt<br />
wird: Die Vernachlässigung der Menschenrechte<br />
in der Szene, die mit blindem linken Auge<br />
vielfach über Jahre Menschenrechtsverletzer<br />
unterstützt bzw. Menschenrechtsverletzungen<br />
in anderen Ländern überhaupt nicht thematisiert<br />
hat. Ein Angriff, der an die Substanz der<br />
Glaubwürdigkeit jener geht, die sich oft sehr<br />
moralisch für gerechtere Nord-Süd-Beziehun-