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Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen

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FORSCHUNGSJOURNAL NSB 3/94<br />

Der zweite Teil von Peters' Arbeit<br />

versucht eine Operationalisierung<br />

der Integrations-<br />

Theorie. Es geht ihm um „das<br />

Verhältnis zwischen symbolischen<br />

und nichtsymbolischen<br />

Elementen oder Aspekten der<br />

sozialen Realität einerseits, zwischen<br />

bewußten und nichtbewußten<br />

Formen sozialer Beziehungen<br />

oder sozialer Ordnung andererseits."<br />

(227) Die Menschen<br />

machen zwar die Geschichte (die<br />

Gesellschaft), aber unausweichlich<br />

auch immer wieder die „Erfahrung<br />

des Zwangscharakters,<br />

der Äußerlichkeit, Materialität,<br />

Objektivität, 'Dinghaftigkeit'"<br />

(225) des <strong>Soziale</strong>n. Peters fragt<br />

daher, wie gegenüber dieser Erfahrung<br />

der Dinghaftigkeit des<br />

<strong>Soziale</strong>n „Formen bewußter Vergesellschaftung"<br />

noch möglich<br />

sind, und „wieweit 'Verselbständigung'<br />

aufliebbar ist zugunsten<br />

solcher Formen der Integration,<br />

die von den Beteiligten mit<br />

Willen und Bewußtsein realisiert<br />

werden." (229) Mit diesen Fragen<br />

will Peters den „kritischen<br />

Impulsen der Moderne", die „im<br />

Namen von Freiheit und Selbstbestimmung<br />

gegen die sekundäre,<br />

historisch produzierte Naturhaftigkeit<br />

und unkontrollierte Eigendynamik<br />

sozialer Prozesse<br />

protestieren", zu ihrem Recht<br />

verhelfen. Er bemüht hierzu ein<br />

eher antiquiertes Instrument der<br />

klassischen Gesellschaftslehre,<br />

nämlich das Gedankenexperiment<br />

einer „utopischen Gesellschaft".<br />

Das „kontrafaktische"<br />

Spezifikum dieser Sozialutopie<br />

sind ihre „unbegrenzten Kommunikationskapazitäten",<br />

also - mit<br />

Luhmann - unbegrenzt in ihrer<br />

sozialen, sachlichen und tempo­<br />

ralen Dimension: Alle wissen<br />

gleichviel über alles und haben<br />

unbegrenzt Zeit und Motivation,<br />

darüber zu reden, bis sich alle<br />

einig sind. Peters sieht in diesem<br />

Experiment eine „methodische<br />

Fiktion", die nicht nur Fiktion ist:<br />

Sie „artikuliert normative Intuitionen,<br />

die einen wichtigen Platz<br />

in den normativen, moralischen<br />

und politischen Konzeptionen<br />

unserer Kultur haben." (235) Diese<br />

„Intuitionen" seien in modernen<br />

Gesellschaften ein „wirkendes<br />

Ideal für die Gestaltung sozialer<br />

Beziehungen." (236) Das<br />

Ideal soll als Folie dienen für die<br />

Frage, „in welchen Grenzen die<br />

soziale Realität überhaupt dem<br />

Idealmodell angenähert werden<br />

könnte." (241) Das Empirische -<br />

die „verselbständigte Gesellschaft"<br />

- als „Abweichung vom<br />

Idealmodell bewußter Vergesellschaftung"<br />

(304) wird nicht nur<br />

als Fehlentwicklung gedeutet,<br />

aber doch als Nötigung zur Frage<br />

nach „Entwicklungstendenzen"<br />

hin zu „mehr »bewußter Kontrolle«<br />

der gesellschaftlichen Reproduktion<br />

oder zu mehr »Verselbständigung«.<br />

Also doch nur Fiktion?"<br />

Ein gerechtes Fazit dieser Arbeit<br />

fiele leichter, wenn der Autor sich<br />

reflektierter mit der Normativitäts-Problematik<br />

imFalle von Gesellschaftsstheorieauseinandergesetzt<br />

hätte, in Form der Frage,<br />

wieviel Normativität sich eine<br />

soziologische Theorie beim gegebenen<br />

Komplexitäts- und<br />

Differenzierungsgrad moderner<br />

Gesellschaft noch leisten kann.<br />

Gemünzt auf das 'Problem' der<br />

Integration könnte das heißen,<br />

funktionale Differenzierung zum<br />

Ausgangspunkt der Theorie zu<br />

nehmen und nicht gegen sie anzurennen.<br />

Vielleicht bleibt dann<br />

nur noch so etwas wie eine unvermeidlich<br />

'funktionalistische Normativität'<br />

der Gesellschaftstheorie<br />

übrig. Ein solches Programm<br />

könnte zu Aussagen kommen wie:<br />

Weil die moderne Gesellschaft<br />

auf funktionaler Differenzierung<br />

beruht, sollte sie verhindern, daß<br />

Geld wissenschaftliche Aussagen<br />

'wahrer' zu machen sucht - weil<br />

das nicht im Interesse der modernen,<br />

funktional differenzierten<br />

Gesellschaft liegt. Aber schon die<br />

'Steuerung' von Forschungsinteressen<br />

durch monetäre Anreize<br />

ist ein Sachverhalt, der das Primat<br />

funktionaler Differenzierung<br />

zwar nicht direkt in Frage stellt,<br />

dennoch aber zu permanenten<br />

Kontroversen in der Öffentlichkeit<br />

Anlaß gibt.<br />

Dieser kleine Exkurs soll das Fazit<br />

verdeutlichen, daß normative<br />

Ansätze die Wirklichkeit der modernen<br />

Gesellschaft nicht erfassen<br />

können, wenn sie sich in funktionalistischen<br />

Allgemeinheiten<br />

oder schlichten Parteinahmen erschöpfen.<br />

Kurz: Was die Arbeit<br />

von Peters erträglicher gemacht<br />

hätte, wäre ein Schuß Kontingenzbewußtsein<br />

und eine Prise<br />

Ironie.<br />

Gerald Wagner, Berlin<br />

CQ

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