Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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32 FORSCHUNGSJOURNAL NSB 3/94<br />
Rolf Bräuer<br />
Zwischen Provinzialität und<br />
Globalismus<br />
Die westdeutsche Dritte-Welt-Bewegung in den 80er und 90er Jahren<br />
1. Vorbemerkung<br />
Das Vorhaben, einen Abriß über die Geschichte<br />
der Dritte-Welt-Bewegung in den 80er Jahren<br />
und einen Ausblick auf die 90er Jahre zu<br />
schreiben, ist einer Reihe von prinzipiellen<br />
Schwierigkeiten ausgesetzt, die im Gegenstand<br />
selbst, aber auch in den Möglichkeiten, Zugang<br />
zu ihm zu finden, begründet sind. Wenn<br />
in der folgenden Analyse von Dritte-Welt-Bewegung<br />
gesprochen wird, sind die etwa 3000<br />
bis 5000 1<br />
unabhängigen, zumeist lokal arbei<br />
tenden Dritte-Welt-Gruppen, Dritte-Welt-Läden<br />
und Solidaritätskomitees gemeint sowie ihre<br />
Zusammenschlüsse, Netzwerke und Verbände,<br />
denen der Anspruch gemeinsam ist, durch ihre<br />
Arbeit ein öffentliches Bewußtsein für die Probleme<br />
in der Dritten Welt und das Verhältnis<br />
zwischen Nord und Süd zu erzeugen. Dazu<br />
gehört auch die Entwicklung von Aktionsformen,<br />
die zu einer Veränderung dieses Verhältnisses<br />
beitragen können. Die Orientierung auf<br />
gesellschaftliche Breite und auf Veränderung<br />
sind - neben der thematischen Abgrenzung -<br />
die entscheidenden Bestimmungsgrößen für<br />
den Bewegungscharakter der Dritte-Welt-Bewegung.<br />
Der Übergang zu den kleineren privaten<br />
Hilfswerken und Menschenrechtsorganisationen<br />
ist dabei fließend, da diese Organisationen<br />
zum Teil selbst den Charakter größe<br />
rer, organisatorisch gefestigter Dritte-Welt-<br />
Gruppen haben und/ oder durch ehrenamtliche<br />
Mitgliedschaften vor Ort die Funktion von Zusammenschlüssen<br />
oder Verbänden wahrnehmen.<br />
Fließend ist auch die Grenze zu den antiimperialistischen<br />
Gruppen, deren Analysen -<br />
wie auch Organisationsformen - häufig denen<br />
der Dritte-Welt-Gruppen vergleichbar sind, die<br />
jedoch militantere Aktionsformen bevorzugen<br />
und meist nicht den Ansprach auf breite Bewußtseinsbildungsarbeit<br />
teilen. Diese Unscharfe<br />
in der Abgrenzung des Gegenstandes muß<br />
in Kauf genommen werden, da das Prozeßhafte<br />
des Bewegungscharakters eine genauere Bestimmung<br />
kaum zuläßt.<br />
Der Zugang zur Dritte-Welt-Bewegung wird<br />
durch die unzureichende Literaturbasis erschwert.<br />
Es gibt nur wenige Analysen, die sozialwissenschaftlichen<br />
Standards genügen würden.<br />
Was bisher existiert, sind einzelne journalistische<br />
(zum Beispiel Bahlsen/ Rössel 1986)<br />
oder essayistische Beschreibungen älterer Phasen<br />
der Bewegung (zum Beispiel Leggewie<br />
1984) sowie eine Reihe von Selbstverständnispapieren,<br />
die von Bewegungsteilnehmern<br />
geschrieben wurden und sich häufig den interessengeleiteten<br />
Perspektiven des jeweiligen<br />
Bewegungsspektrums verpflichtet fühlen. Auch<br />
in diesem Artikel wird sich die „Insider-Per-