Vollversion (6.51 MB) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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FORSCHUNGSJOURNAL NSB 3/94 19<br />
dem Theorie rezipiert und teils auch weiterentwickelt<br />
wurde, war schließlich generell die<br />
Projizierung der eigenen Wünsche und Zielvorstellungen<br />
auf gesellschaftliche Prozesse in<br />
der „Dritten Welt"; die Konjunkturen der dafür<br />
und für den aus solchen Orientierungen<br />
folgenden „Revolutionstourismus" in Frage<br />
kommenden Länder waren schnellem und heftigem<br />
Wechsel unterworfen, beginnend mit<br />
Vietnam, Cuba, Chile, Tanzania, dem später<br />
Mocambique sowie kurzfristig Zimbabwe folgten,<br />
weiter Nicaragua oder Grenada und Burkina<br />
Faso. Lediglich die VR China konnte solche<br />
Projektionen ungeachtet aller Wechselfälle<br />
über mehr als ein Jahrzehnt hinweg auf sich<br />
ziehen (vgl. z.B. Negt 1988). In allen diesen<br />
Fällen schlossen sich an politische Umbrüche<br />
wie die auch militärisch erkämpfte nationale<br />
Unabhängigkeit oder den Sturz von Diktaturen<br />
ausdrückliche Versuche zur Entwicklung<br />
gesellschaftlicher Alternativen an (s. zusammenfassend<br />
Kößler 1988).<br />
Die Selbsttäuschung, auf die eine identifikatorische<br />
Bezugnahme auf diese Prozesse durch<br />
große Teile der Solidaritätsbewegung hinauslief,<br />
lag nicht so sehr in der Suche nach Alternativen,<br />
sondern in der vorschnellen Gleichsetzung<br />
der eigenen Zielsetzungen mit jenen<br />
der „Befreiungsbewegungen an der Macht" begründet:<br />
Diese unterlagen nicht nur spezifischen<br />
Zwängen des Um- und Neuaufbaus staatlicher<br />
Strukturen und der Inszenierung einer<br />
nachholenden Entwicklung; ihre Orientierung<br />
auf nationale und staatliche Zielvorgaben war<br />
deutlich inkongruent mit den Vorstellungen vieler<br />
Sympathisantinnen und Symapthisanten in<br />
den industriekapitalistisch entwickelten Ländern.<br />
In Bezug auf Mocambique etwa, das bis<br />
weit in die 1980er Jahre hinein zahlreiche Kooperantinnen<br />
und Kooperanten, aber auch Forschungsaktivitäten<br />
anzog, kam dies, soweit die<br />
Probleme in die wissenschaftliche Diskussion<br />
eingeflossen sind, in schroffer Ablehnung (s.<br />
etwa Schröer 1980) oder auch gleichsam<br />
komplementär in ebenso entschiedener Identifikation<br />
zum Ausdruck (s. z.B. Schoeller 1981).<br />
Seit Anfang der 1980er Jahre wurden deutlichere<br />
thematische Abweichungen und kognitive<br />
Lücken zwischen wissenschaftlich-theoretischen<br />
Einsichten und den Diskursen einer<br />
Solidaritätsbewegung erkennbar, deren positiven<br />
Identifikationsobjekte zusehends dahinschwanden.<br />
Die „Sprachlosigkeit zwischen den<br />
Ebenen" läßt sich freilich nicht allein darauf<br />
zurückführen, daß innerhalb und erst recht außerhalb<br />
des „akademischen Bereich(s)... viele<br />
den jeweiligen Trends nur hinterher(laufen)"<br />
oder an einer einmal angeeigneten Theorie „in<br />
ihrem Berufsleben" festhalten, „ohne die Weiterentwicklung<br />
... noch zur Kenntnis zu nehmen"<br />
(Menzel 1992, S. 44f). Mindestens ebenso<br />
entscheidend dürfte sein, daß die in der<br />
wissenschaftlichen Debatte um Entwicklung<br />
und Entwicklungstheorie neu aufgeworfenen<br />
und sich aufdrängenden Probleme in einem<br />
weit geringerem Maß politisch anschlußfähig<br />
waren, als dies die frühere Suche nach Alternativen<br />
oder selbst noch die von einem handlungsfähigen<br />
Bündnis von Regierungen der<br />
„Dritten Welt" geltend gemachten Forderungen<br />
nach einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung"<br />
gewesen waren. Die Verschuldungskrise<br />
ermöglicht zwar nach wie vor die Formulierung<br />
von Forderungen an die Regierungen der<br />
G 7 oder den Internationalen Währungsfonds,<br />
sie enthält aber keinerlei positive Identifikationsangebote;<br />
ähnliches gilt von dem Auftreten<br />
von „Schwellenländem" und „neu industrialisierten<br />
Ländern". Dies war und ist eine entscheidende<br />
Herausforderung für die Dependenztheorie.<br />
Dieser Umbruch hat „die generelle<br />
Verknüpfung von Abhängigkeit und Unterentwicklung<br />
obsolet gemacht" (vgl. Boeckh<br />
1985, S. 66). Ein Paradigmenwechsel wurde<br />
damit unausweichlich. Die Verabschiedung der<br />
„Dritten Welt" als politisches Subjekt wurde