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Josiane Pinto<br />

Variationen über die Lage der Frauen 1<br />

»Das andere Geschlecht« – ein zugleich theoretisches und politisches Werk – hat<br />

dazu beigetragen, die Frauenbewegung, die zuvor eine rein politische Angelegenheit<br />

war, auf eine intellektuelle Ebene zu heben. Auf diese Weise stellte es den<br />

feministischen Kämpfen symbolische Instrumente zur Verfügung. Somit ist das<br />

Buch von Simone de Beauvoir, der ersten großen Intellektuellen, die die Frauenfrage<br />

aufwarf, ein markantes Werk und wert, es in seiner vollen Bedeutung zu<br />

würdigen.<br />

In meiner Zeit als Philosophiestudentin war dieses Buch einer der Wegweiser<br />

für Frauen und vor allem auch für anspruchsvolle Intellektuelle. Dennoch erscheint<br />

mir heute eine kritische Lektüre vonnöten, die im Übrigen im Einklang<br />

steht mit der durch Simone de Beauvoir selbst geforderten [intellektuellen] Freiheit.<br />

So ist es bedauerlich, dass die persönliche Problematik Beauvoirs, insbesondere<br />

ihre Beziehung zu Sartre, wenig von den Schlussfolgerungen aus »Das andere<br />

Geschlecht« profitiert zu haben scheint, obwohl das Schreiben dieses Werks<br />

oftmals in Form einer Selbst-Analyse vonstatten geht und die Autorin dasselbe als<br />

Garantie dafür ansieht, einer Weiblichkeit zu entgehen, wie sie in der durch Tradition<br />

und Religion geprägten Mutter verkörpert wird. In intellektueller Hinsicht<br />

betont sie immer wieder die Überlegenheit Sartres. 2 In affektiver Hinsicht ist die<br />

Art des Zusammenlebens des Paares durch Sartre definiert worden, und Simone<br />

de Beauvoir verschreibt sich »kontingenten Liebesbeziehungen«, um nicht den<br />

Eindruck zu erwecken, den durch Sartre vorgeschriebenen »Freiheits«-Kontrakt<br />

aufkündigen zu wollen. Und überhaupt schimmert in Beauvoirs Werk zuweilen<br />

ein bestimmter Schmerz auf.<br />

Allgemeiner gesprochen: Obzwar ihre Memoiren bewegend sind, weil sie von<br />

ihrer Welt erzählt, so analysiert sie hier weder ihr Verhältnis zur Differenz der Geschlechter,<br />

noch fragt sie sich: Ich, die Intellektuelle, bin frei, aber wie ist die entfremdete<br />

Frau möglich? Eine solche Befragung, die die Herrschaftsformen mit<br />

den sozialen Trajektorien in Beziehung setzt, wäre fruchtbringend gewesen. Indem<br />

sie ihre Distanz zur empirischen sozialen Realität beibehält, läuft Beauvoir<br />

zudem Gefahr, sich einer Art intellektuellen Ethnozentrismus auszuliefern. So betrachtet<br />

sie die von ihr erwähnten Frauen zumeist von außen, über ein literarisches<br />

1 Im französischen Original lautet der Titel des Aufsatzes: »Variations sur ›la condition féminine‹«, was die »condition<br />

humaine«, also die »conditio humana« evoziert. Gemeinsam mit der Autorin haben wir uns entschieden,<br />

hier wie anderswo diese Wortgruppe mit »Lage der Frauen« zu übersetzen. (A. d. Hrsg. – E. B.)<br />

2 Vgl. insbesondere Simone de Beauvoir: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause. Aus dem Französischen von<br />

Eva Rechel-Mertens. Reinbek bei Hamburg 2006, S. 482 ff.<br />

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