Dokument 1.pdf - eDoc
Dokument 1.pdf - eDoc
Dokument 1.pdf - eDoc
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Materialistischer ist auch ihre Wendung in den Bearbeitungen der Todesmetaphern.<br />
Es geht um gelebte Erfahrungen, die als existentielle geschichtlich sind.<br />
Beauvoir schafft es, mit ihrer Literatur die Wirklichkeit der individuellen Alternserfahrungen<br />
entstehen zu lassen und einen Zugang dazu zu finden, wie zum Beispiel<br />
in dem Erzählungsband »Eine gebrochene Frau« und in »Ein sanfter Tod«,<br />
dem oben zitierten bestechend klaren und anrührenden Bericht über das Sterben<br />
ihrer Mutter.<br />
Und genau über diesen Bezug lässt sich vielleicht ein vorläufiger und systematischer<br />
Zusammenhang zwischen den Kategorien »Alter«, »Altern« als prozesshafte,<br />
nie ganz einholbare, radikal vereinzelte und vereinzelnde Erfahrung, »Geschlecht«<br />
und »Frau-Werden« (»devenir femme«) herstellen.<br />
Alter steht bei Beauvoir mit dem es konstituierenden Wissenschaftsdiskurs und<br />
den ökonomischen Bedingungen auf der Seite des Sozialen, in der Natur-Kultur-<br />
Dichotomie auf der Seite der Kultur. Die Naturalisierung der kulturellen Bedeutungen<br />
mit ihren sozialen Konsequenzen wie Einsamkeit, Vernachlässigung, Entmündigung,<br />
Verarmung ist für sie Ausdruck einer ideologischen Ausgrenzung und<br />
Stigmatisierung alter Menschen, ein Scheitern der Gesellschaft. Die Verobjektivierung<br />
und Versteinerung des alten Menschen, beschrieben in seinem »Für-Andere-Sein«,<br />
seinem Alter, macht aus dem alten Menschen in diesem Zusammenhang<br />
eine Grenzfigur zwischen Kultur und Natur. Mit eben diesem Begriff hatte<br />
Donna Haraway den epistemologischen Status der »Frau« in »Das andere Geschlecht«<br />
benannt.<br />
Hier lässt sich auch die von Beauvoir immer wieder evozierte Bindung des Alters<br />
an den Tod fassen. Der Tod ist immer der Tod der Anderen, dem sich nur in<br />
Metaphern von außen genähert werden kann. Meinen Tod, den Tod als meine<br />
Möglichkeit, diese heideggersche Bestimmung aus »Sein und Zeit«, lehnt Beauvoir<br />
ab. Tod und Alter sind sich, trotz ihres unterschiedlichen Verhältnisses zur<br />
Zeitlichkeit, sehr ähnlich. Wenn man nun »Alter« mit »Geschlecht« vergleicht, so<br />
fällt zwar die Uneindeutigkeit, oder eben die Grenzfigur zwischen Kultur und Natur<br />
als das Gemeinsame auf, die Beziehung zum Tod allerdings ist eine verschiedene.<br />
Ich möchte hier nur darauf hinweisen, dass diese unterschiedliche Beziehung<br />
ihre Entsprechung findet im Verhältnis von »Altern«, »Sterblichkeit« und<br />
»Frau-Werden« (»devenir femme«) und »Endlichkeit«. Während das nicht realisierbare<br />
eigene Altern der Existenz als sich veränderndes Verhältnis zur Zeit, zur<br />
Geschichte, zur Vergänglichkeit in der Verkörperung auch mit an das Wissen um<br />
die Sterblichkeit durch das Sterben der Anderen gebunden ist, ist das Frau-Werden<br />
in der aktiv und passiv geschehenden vergeschlechtlichenden Verkörperung<br />
an die Endlichkeit gebunden, als notwendiges Bestandteil jeder Wahl, der Freiheit.<br />
Endlichkeit und Sterblichkeit scheinen mir den Kern der Grenzfigur zu bilden,<br />
die aus zwei Seiten besteht: Altern, Alter, Tod, Immanenz, Sterblichkeit und<br />
Frau-Werden, Geschlecht, Leben, Transzendenz und Endlichkeit. Es wäre nun allerdings<br />
zu einfach, wenn man die Uneindeutigkeit innerhalb dieser Konstruktion<br />
93