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ihres rechts-katholischen Milieus über Gide zu teilen scheint, demzufolge derselbe<br />

einen negativen Einfluss auf sein Publikum ausübe. Sie zitiert hier einen<br />

Aufsatz von Henri Massis, der der Action française nahe stand, über den Immoralismus<br />

von Gide (1923), der sie überzeugt habe. Massis hatte nach dem Krieg einen<br />

regelrechten Feldzug gegen die Phänomene der »Moderne« lanciert, vor<br />

allem gegen die Psychoanalyse und die literarische Introspektion. Mit seiner<br />

Attacke gegen Gide suchte er dessen wachsenden Einfluss vor allem bei der Jugend<br />

nach 1920 einzudämmen. In seinen Augen war die »asiatische« Philosophie,<br />

die Gide unterstütze, für die moderne Dekadenz und die Zerstörung des Menschenbildes<br />

der Klassik verantwortlich. Massis bezeichnete den Einfluss Gides<br />

schlicht als »diabolisch«. 27 Malraux indes verteidigte Gide, weil er angesichts des<br />

Zerfalls traditioneller Wertesysteme die Ehrlichkeit als letzten Referenzwert<br />

hochhalte, aber auch Mauriac nahm Gide in Schutz und reklamierte gegenüber<br />

dem erbarmungslosen Verdikt von Massis eine christlichere Haltung. Für die<br />

junge Simone de Beauvoir zeitigt die »schlechte« Doktrin Gides positive Resultate:<br />

»Kann eine in sich schlechte Doktrin nicht ausgezeichnete Zielrichtungen<br />

enthalten? Es gibt Fragen, auf die man tausend verschiedene Antworten geben<br />

kann, und was auch immer er geantwortet hat, mich hat er dazu geführt, eine Antwort<br />

zu suchen, die mir entspricht. Ich bin ihm dankbar [...]. Ich weiß nicht, aber<br />

dieser Immoralismus scheint mir moralischer zu sein als eine gewisse Gleichgültigkeit.<br />

Und was seinen Einfluss betrifft, es gibt doch Gifte, die ebenso wirksam<br />

sind wie Heilmittel.« 28<br />

Derselben Tendenz einer Literatur der Introspektion entsprechen auch Jacques<br />

Rivière, Alain-Fournier, Arland. Sehr oft zitiert sie Claudel, aber auch Mauriac,<br />

vor allem dessen Gedichte und den Roman »Thérèse Desqueyroux«. Erwähnt<br />

werden Werke von Jules Laforgue, Baudelaire natürlich, Valéry, Proust, Ramuz,<br />

Drieu La Rochelle. Die Avantgarde, etwa die Surrealisten Crevel, Aragon, Cendrars,<br />

erwähnt sie eher en passant. 1926 nimmt sie sich immerhin vor, sich über<br />

Max Jacob, Apollinaire und die Surrealisten zu informieren. Sie berichtet auch<br />

von der Lektüre von Joyce, von Dos Passos’ »Manhattan Transfer«, der ihr aber<br />

nicht so gefiel. Sonst zitiert sie eher selten nicht-französische Literatur: Tagore,<br />

Oscar Wilde, Rilke.<br />

In ihrem Tagebuch erwähnt Simone de Beauvoir viel häufiger literarische als<br />

philosophische Werke. Aber auch hier träumt sie von einer Verbindung von Philosophie<br />

und Literatur. So fühlt sie sich von Bergson, den sie mit Dichtern wie<br />

Barrès, Tagore und Alain-Fournier in Verbindung bringt, viel mehr angesprochen<br />

als von abstrakten philosophischen Konstruktionen. »Hier endlich rühre ich an<br />

eine greifbare Realität und ich finde das Leben wieder.« 29 Die Philosophie spricht<br />

27 Zu dieser Auseinandersetzung siehe auch Michael Einfalt: Nation, Gott und Modernität. Grenzen literarischer<br />

Autonomie in Frankreich 1919-1929. Tübingen, Niemeyer, 2001, S. 92-98.<br />

28 Simone de Beauvoir: Carnets de jeunesse, S. 55<br />

29 Ebenda, S. 60.<br />

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