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edient und seine Schlussfolgerung in der ersten Person Plural formuliert. Mit seinem<br />
Konzept der Kontingenz setzt er sich gleichzeitig vom Determinismus ab, für<br />
den alles notwendig ist, wie von einer Vorkriegs-Konzeption, die glaubte, die<br />
Endlichkeit durch die Tat zu bannen, eine Idee, die in Malraux’ ersten Romanen<br />
aufgenommen wird, der im Abenteuer eine Waffe gegen das »Schicksal« sieht.<br />
Es fragt sich aber, ob Simone de Beauvoir in ihren Memoiren nicht im Rückblick<br />
– aus der Distanz von dreißig Jahren – zu exklusiv auf die Theorie der Kontingenz<br />
abhebt und so eine retrospektive Kohärenz konstruiert. Sie hatte aber<br />
schon in ihren Tagebuch-Aufzeichnungen von September 1929 notiert, dass Sartre<br />
ihr seine Theorie der Kontingenz erklärt habe: »Was für schöne Ideen über die<br />
Ärzte, die Geschichte, die Kunst, die Kontingenz – wunderbarer ›Hymnus der<br />
Kontingenz‹«. 14<br />
Seit März 2008 können wir uns auch auf das Tagebuch von Simone de Beauvoir<br />
für diese Zeit stützen, die »Cahiers de jeunesse 1926-1930«. Das erste Heft<br />
ist verloren gegangen. Die Publikation beginnt mit dem zweiten Heft, das am<br />
26. August 1926 einsetzt. Das siebte Heft endet mit der Eintragung vom 31. Oktober<br />
1930. Die Memoiren und das Tagebuch folgen einer unterschiedlichen Gattungslogik.<br />
Die Memoiren sind 1958 erschienen, als Simone de Beauvoir das<br />
50. Lebensjahr erreicht hatte; es handelt sich um eine retrospektive Sichtweise,<br />
die das Material gemäß einer narrativen Ordnung gliedert. So bildet die Erzählung<br />
in den Memoiren nicht exakt die chronologische Ordnung der Eintragungen im<br />
Tagebuch ab. Die Memoiren kondensieren darum den Lebensweg von 1908 bis<br />
zum Tod ihrer besten Freundin Zaza (Elisabeth Lecoin) am 25. November 1929.<br />
Die Erzählung der gut 20 Jahre umfasst im ersten Band der Memoiren (»Mémoires<br />
d’une jeune fille rangée«) in der Folio-Ausgabe etwa 500 Seiten. Das Tagebuch,<br />
das sich auf die Zeit von 1926 bis 1929 – also nur drei Jahre – bezieht, umfasst<br />
hingegen in der Ausgabe der Collection blanche 780 Seiten. Es wäre sehr<br />
spannend, Passagen aus den Memoiren und dem Tagebuch zu vergleichen. Ich<br />
denke hier etwa an den Bericht über einen Vortrag mit Garric und Guéhenno am<br />
7. Juni 1929. Der Tagebucheintrag darüber ist länger; es ist eine Momentaufnahme.<br />
Der Vortrag erscheint als eine Gelegenheit, dass Zaza zusammen mit Merleau-Ponty<br />
und ihr ausgehen kann. Die einzelnen Personen werden detailliert<br />
beschrieben. Die Sympathie gegenüber Merleau-Ponty kommt zum Ausdruck. Es<br />
wird auch die Erinnerung an die brüderliche Atmosphäre der von Garric geleiteten<br />
Équipes sociales wachgerufen. Gleichzeitig erinnert sie an ihren geliebten Cousin<br />
Jacques, der hier so gut dazu passen würde. In den Memoiren scheint Merleau-<br />
Ponty das Ganze eingefädelt zu haben, nur um so mit Zaza zusammen zu sein.<br />
Die Gruppe um Garric wird nun aus späterer kritischer Perspektive gesehen. Die<br />
Autorin hebt jetzt hervor, wie fremd ihr diese Welt geworden ist. Merleau-Ponty<br />
wird natürlich in den Memoiren nicht mit seinem Namen genannt, sondern mit<br />
14 Simone de Beauvoir: Cahiers de jeunesse. 1926-1930. Paris, Gallimard, 2008, S. 754, 756 (übersetzt von J. J.).<br />
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