15.06.2014 Aufrufe

Dokument 1.pdf - eDoc

Dokument 1.pdf - eDoc

Dokument 1.pdf - eDoc

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

lektuelle Technik verfügten und die Männer von ihrer größeren Welterfahrung<br />

profitierten. Simone de Beauvoir habe aber dieses Analysemuster nicht auf ihre<br />

eigene Beziehung mit Sartre angewandt. Darin liege der blinde Fleck ihres Selbstporträts.<br />

63 Dabei dürfe man nicht übersehen, dass Sartre damals noch nicht Sartre<br />

war, sondern ein 24-jähriger Student, der ein Jahr zuvor beim Agrégations-Examen<br />

durchgefallen war. Simone de Beauvoir hätte darum keinen Grund gehabt, ihn als<br />

den intellektuell Überlegenen aufzubauen. Statt die Gründe für Sartres Überlegenheit<br />

zu erforschen, habe sie es vorgezogen, diese als »naturgegeben« einzuschätzen.<br />

Sie hatte allerdings, wie sie in ihren Memoiren schreibt, schon früher<br />

gedacht, nur ein Mann, der ihr überlegen sei, könne auf ihrer Augenhöhe sein,<br />

weil er ja als Mann von viel besseren Ausgangsbedingungen ausgehen konnte:<br />

»Wenn ein Mann, der ja als solcher von Natur einer bevorzugten Klasse angehörte<br />

und von vornherein einen beträchtlichen Vorsprung vor mir hatte, nicht mir überlegen<br />

war, würde ich zu dem Urteil kommen, dass er dementsprechend weniger<br />

sei als ich; damit ich ihn als meinesgleichen anerkennen könnte, müsste er mich<br />

übertreffen.« 64 In den Augen von Toril Moi ist diese Argumentation ambivalent;<br />

eine männliche Überlegenheit sei ja letztlich nicht glaubhaft, weil sie die Folge<br />

einer patriarchalen Ungerechtigkeit sei. Für Sartre gelte das in den Augen von Simone<br />

aber nicht. Nach der Lektüre des Leserbriefs über die Kontingenz habe sie<br />

geglaubt, den »augenscheinlichen Beweis« zu haben, »dass er eines Tages ein<br />

philosophisches Werk von Gewicht schreiben würde«. 65<br />

Nach dem Bericht über das Gespräch am Medici-Brunnen zieht sie dann in<br />

den Memoiren ein eindeutiges Fazit: »Sartre entsprach genau dem, was ich mir<br />

mit fünfzehn Jahren gewünscht und verheißen hatte: er war der Doppelgänger, in<br />

dem ich in einer Art von Verklärung alles wiederfand, wovon ich auch selbst besessen<br />

war. Mit ihm würde ich immer alles teilen können. Als ich mich Anfang<br />

August /d. h. vor den Sommerferien/ von ihm trennte, wusste ich, dass er aus meinem<br />

Leben nie mehr verschwinden würde.« 66<br />

Was hier als so klar und eindeutig erscheint, war allerdings im Sommer 1929,<br />

wenn man ihrem Tagebuch folgt, noch nicht so evident. 67 Was uns aber im Gefolge<br />

der Studie von Toril Moi interessiert, ist, ob Simone de Beauvoir nach dem<br />

Medici-Brunnen-Gespräch nicht, ohne sich dessen bewusst zu werden, zu einem<br />

Opfer der männlichen Herrschaft – Sartres – geworden ist. Simone de Beauvoirs<br />

philosophische Niederlage im Jardin du Luxembourg, so schreibt Toril Moi,<br />

63 »Indem Beauvoir die Auswirkungen ihres Geschlechts völlig übersieht, ist sie sich, ganz unbekümmert, der in<br />

ihrem intellektuellen Feld geltenden Regeln nicht bewusst. Sie sieht nicht – und will nicht sehen –, dass sie einzig<br />

deshalb Benachteiligungen ausgesetzt ist, weil sie eine Frau ist« (Toril Moi, Simone de Beauvoir, S. 119).<br />

64 Simone de Beauvoir: Memoiren, S. 209.<br />

65 Ebenda, S. 495.<br />

66 Ebenda, S. 498.<br />

67 Was sie über ihre künftige Beziehung mit Sartre im September 1929 in luzider Weise in ihrem Tagebuch notierte,<br />

klang keineswegs so definitiv: »Cet amour pour Sartre qui ira ou il voudra (il mourra, ou il bouleversera ma vie,<br />

ou durera calmement, un peu effacé)« (S. 771).<br />

46

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!