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Ich erinnere mich, wie ein paar Jahre später der Präsident des Smith College<br />

auf einer Versammlung ankündigte, dass unser geschätzter Professor, der Dichter<br />

W. H. Auden, für eine Woche fehlen würde, da er in Washington D. C. von Jospeh<br />

McCarthy verhört werden sollte, der wissen wollte, ob er jemals Kommunist gewesen<br />

sei. Als ein Journalist der »New York Times« Beauvoir in ironischem Ton<br />

fragt: »also in Frankreich amüsiert man sich mit dem Existentialismus«, 18 kommt<br />

sie zu dem Schluss: »Meine kurze Erfahrung sagt mir, dass Amerika für die Intellektuellen<br />

ein hartes Pflaster ist.« 19<br />

Vielleicht ist dies der Grund für den großen Abstand zwischen der universitären<br />

Welt und der Mentalität des Restes der Bevölkerung in den USA, den Michelle<br />

Obama, die Frau unseres ersten schwarzen Präsidentschaftskandidaten, dadurch<br />

zu überspringen versuchte, dass sie sich auf dem Parteitag der Demokraten<br />

in Denver als eine Frau wie alle anderen präsentierte, als Ehefrau und Mutter von<br />

zwei Töchtern, statt als brillante Rechtsanwältin, die, wie ihr Mann, über ein Diplom<br />

von der Harvard Law School verfügt.<br />

Immer wieder vermerkt Beauvoir die Ungezwungenheit der zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen in den USA, etwa wenn sie schreibt: »So bin ich denn etwas<br />

erstaunt, an der Seite dieses Unbekannten durch die Straßen zu gehen, der mit der<br />

Herzlichkeit eines alten Freundes zu mir spricht und mich nach amerikanischer<br />

Art beim Vornamen nennt. Die Beziehungen zwischen Menschen haben hier eine<br />

reizende Ungezwungenheit. Vielleicht sind in Frankreich die Freundschaften<br />

fester und tiefer verankert, ich weiß es nicht: jedenfalls hat bei uns ein erstes Kennenlernen<br />

nicht diese Wärme. Und mit welcher Beflissenheit sind alle diese Menschen<br />

bereit, einem gefällig zu sein! Ich habe den Wunsch ausgesprochen, Jazz zu<br />

hören, und schon bin ich unterwegs zu dem Konzert, das Louis Armstrong in der<br />

Carnegie Hall gibt.« 20<br />

Auf der anderen Seite notiert sie, dass »man hierzulande kaum die Gewohnheit<br />

hat, einen Ideenstreit so weit zu treiben […]: wenn die Meinungen aufeinander zu<br />

platzen drohen, macht man einen Rückzieher und verschanzt sich hinter höflichen<br />

und nichtssagenden Redensarten. […] Vorsichtigerweise lassen wir die Politik<br />

beiseite.« 21 Während es die Franzosen leidenschaftlich lieben, jede Sache von unterschiedlichen<br />

Standpunkten aus zu betrachten und in Streit darüber zu geraten,<br />

umgehen wir Amerikaner, mit Ausnahme vielleicht gewisser intellektueller Milieus,<br />

bestimmte Diskussionsgegenstände, die, wen auch immer, verstimmen könnten,<br />

der Mitglied der Gruppe ist.<br />

Beauvoir war in die USA eingeladen worden, um an verschiedenen Universitäten<br />

Vorträge zu halten. Als sie der Einladung an das Macon College in Lynchburg,<br />

Virginia, folgt, gewinnt sie ihre ersten Eindrücke vom Süden, und sie berichtet en<br />

18 Ebenda.<br />

19 Ebenda, S. 46.<br />

20 Ebenda, S. 54.<br />

21 Ebenda, S. 55 f.<br />

24

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