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Aber zwischenzeitlich geht man zum Humor über. Der Humor ist eines der<br />

Tore, das mir den Zugang zum Feminismus der Jetztzeit ermöglichte.<br />

Würde ich eines der Worte von Simone de Beauvoir übernehmen, dann wäre<br />

dies die »Entschleierung« (»dévoilement«). Dieses Wort könnte sich in die Tradition<br />

der klassischen Philosophie einschreiben: Den Schleier aufzuheben, der die<br />

Wahrheit verbirgt, ist ein geläufiges Bild. In der existenzialistischen Philosophie<br />

ist die Entschleierung eine Handlung und nicht bloßes Lesen des Realen oder<br />

Wirklichen. Entschleiern, das heißt, eine Handlung zu ermöglichen, und das ist<br />

schlicht und einfach handeln. Der Humor ist Entschleierung, also schließlich<br />

Handlung. Man muss sich nur unsere Schlagworte der damaligen Zeit ansehen,<br />

das, was wir an der Ordnung bemängelten, um sich vorzustellen, wie er deren<br />

Schlagfertigkeit theoretisch und praktisch belebte.<br />

Ich muss meine Schuldigkeit denjenigen gegenüber eingestehen, die die Rubrik<br />

über den gewöhnlichen Sexismus aufmachten, die dann Monat für Monat in<br />

»Les Temps modernes« beibehalten wurde. Diese Chronik hieß »Der gewöhnliche<br />

Sexismus« (»Le sexisme ordinaire«); ich habe mich nicht daran beteiligt, aber<br />

die Autorinnen gaben zuweilen Stückchen davon zum Besten in den hier und da<br />

abgehaltenen Sitzungen. Ich habe ihnen zugehört und das Gedruckte gelesen. 5<br />

Diese Chronik, die zunächst darauf abzielte, den alltäglichen Machismus anzuprangern,<br />

führte schließlich zu einer systematischen Sinnverkehrung. Ich heulte<br />

vor Lachen, und ich zog unerwartete Verbindungen. Für die junge Philosophielehrerin,<br />

die zwischen den Wegzeichen der Zeit navigierte – Ende Althussers, Gegenwart<br />

Foucaults, Gewicht Lacans –, für diejenige, die zu einer langen Reise in die<br />

Geschichte des feministischen Denkens aufgebrochen war, stellte diese Kritik<br />

durch Humor einen radikalen Enthauptungsschlag dar. Letztlich war dies eine<br />

Schule politischen Denkens. Wie hätten wir, mangels Theorie, die männliche<br />

Herrschaft anders verstehen können denn durch das Detail?<br />

Die Autorinnen dieser Chronik hatten Pseudonyme, ihre eigenen Vornamen<br />

oder Namen, die sie der Literatur entnommen hatten. Es handelte sich nicht<br />

darum, sich hinter dem Anonymen zu verstecken, als vielmehr darum, die eine<br />

oder die andere zu sein, diese oder jene, die eine unter den anderen; ähnlich und<br />

einzigartig zugleich. Natürlich hieß es, die Frauen, Trägerinnen – sei es gegen<br />

ihren Willen oder vielmehr mit ihrem vollen Einverständnis – des Namens des Vaters<br />

oder des Ehemannes, müssten diesen loswerden, sich davon freimachen; das<br />

war ideologische Pflicht. Tatsächlich jedoch waren die Vornamen der Frauen, als<br />

Figuren einer Emanzipations-, einer Befreiungsbewegung, als Bilder einer kollektiven<br />

Bewegung, Zeichen dessen, was ihnen selbst eignete. Mit seinem Vornamen<br />

zu unterzeichnen hatte einen politischen Sinn, es war die Indienststellung einer<br />

Individualität für eine gemeinsame Sache. Nicht nur in »Les Temps modernes«<br />

wurde diese verkürzte Form des Signierens mit dem Vornamen praktiziert. Das<br />

5 Le sexisme ordinaire. Paris 1979.<br />

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