Dokument 1.pdf - eDoc
Dokument 1.pdf - eDoc
Dokument 1.pdf - eDoc
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
sophiestudenten des Landes. Durch die zärtliche Freundschaft mit dem (verheirateten)<br />
René Maheu (in den »Memoiren« André Herbaud) entdeckte sie das erotische<br />
Potenzial ihres Körpers. Maheu gab ihr auch den Beinamen »Castor« (Biber, engl.<br />
beaver [Anklang zu Beauvoir]: ein ebenso geselliges wie arbeitsames Tier), unter<br />
dem sie Aufnahme in den Sartrekreis und damit in die Schicht der Intellektuellen<br />
fand.<br />
Ende Juli 1929 bestand sie die Agrégation (als Zweitbeste nach Sartre und<br />
Jüngste ihres Jahrgangs). Ein knappes Drittel, das heißt vier von dreizehn der endgültig<br />
zur Agrégation zugelassenen Kandidaten, war weiblich. 37 In den Monaten<br />
Juli, August und September erlebte sie das stürmische Wachsen ihrer Liebe zu<br />
Sartre, den sie im Tagebuch zuerst als »unsympathisch« 38 , bald aber als »wunderbaren<br />
Trainer für den Geist« 39 bezeichnet.<br />
Ende September 1929 fand die schwärmerische Beziehung zu ihrem Cousin<br />
und Jugendfreund Jacques ein jähes Ende durch dessen unerwartete Heirat, eine<br />
reine Geldheirat. Daraufhin entschied sich Beauvoir endgültig für Sartre. Sie willigte<br />
in den »Zwei-Jahres-Pakt« 40 ein, den ihr Sartre spontan vorschlug, nachdem<br />
sie mit ihm auf einer Steinbank am Louvre längere Zeit eine Katze beobachtet<br />
hatte, die unglücklich in einem Käfig verfangen war und schließlich von einer<br />
barmherzigen Dame gefüttert wurde. So erzählt sie es 1960 im zweiten Band ihrer<br />
Autobiographie, »In den besten Jahren«. Dass es sich hier um eine Schlüsselszene<br />
handeln muss, legt die Übereinstimmung mit der Tagebucheintragung vom<br />
14. Oktober 1929 nahe. Dort heißt es nach der Katzenfütterung: »wir beschließen,<br />
dass wir morganatisch verheiratet sind, was uns entzückt.« 41 »Morganatisch« bedeutet<br />
eigentlich »nicht standesgemäß«, ist hier aber im Sinne von »freie Liebesverbindung«<br />
zu verstehen. Ich deute die gefangene Katze als Symbol für die Ablehnung<br />
des Zwangscharakters der herkömmlichen Ehe und den Versuch, eine<br />
ungebundenere Variante auszuprobieren. Wie Beauvoir im zweiten Band ihrer<br />
Autobiographie beschreibt, machten sich die beiden Jungverliebten in ihrem Experiment<br />
einen Spaß daraus, mal ein kleinbürgerliches Beamtenpaar, M. und<br />
Mme M. Organatique, mal ein amerikanisches Milliardärspaar, Mr. und Mrs.<br />
Morgan Hattick, zu mimen, um sich durch diese Parodien von beiden Welten zu<br />
distanzieren. 42 In ihrem Tagebuch berichtet Beauvoir am 16. Oktober 1929 von einem<br />
Treffen mit Paul und Henriette Nizan, wo man über Geldsorgen gesprochen<br />
habe. Fazit: »Wir sind ein Ehepaar, das einem anderen Ehepaar gegenübersitzt,<br />
37 Vgl. André Lalande (Vorsitzender des Prüfungsausschusses): Rapport sur le concours de l’agrégation de philosophie,<br />
session de 1929. In: Revue universitaire, 39. Jg., Januar 1930, zitiert nach I. Galster: Beauvoir dans tous ses<br />
états. Paris 2007, S. 40.<br />
38 22.6.1929, Simone de Beauvoir: Cahiers, a. a. O., S. 704.<br />
39 11.7.1929, ebd., S. 723.<br />
40 Simone de Beauvoir: In den besten Jahren. Reinbek bei Hamburg 1961, Taschenbuchausgabe 1969, S. 23,<br />
deutsch von Rolf Soellner – La Force de l’âge. Paris 1960.<br />
41 Simone de Beauvoir: Cahiers, a. a. O., S. 800-801.<br />
42 Vgl. Simone de Beauvoir: In den besten Jahren, a. a. O., S. 20.<br />
79