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Geneviève Fraisse<br />
Das Lachen und die Historikerin 1<br />
Ich weiß nicht mehr, ob der Feminismus in »Les Temps Modernes« durch das<br />
große oder das kleine Tor eingetreten ist. Mein Gedächtnis daran schwindet; nur<br />
die Erinnerung an das Lachen ist frisch. 1974 erscheint die Sonderausgabe mit<br />
dem Titel »Les femmes s’entêtent« (»Die Frauen behaupten sich«) 2 , eine Ver-, ja<br />
Umdrehung von Max Ernsts »La femme cent tête« (»Die Frau mit 100 Köpfen«)<br />
bzw. »La femme sans tête« (»Die kopflose Frau«) 3 : Da die Frauen bekanntermaßen<br />
keine starken Charaktere sind, werden euch die Feministen das Haupt erheben,<br />
oder es euch nehmen, wie man heute sagen würde. Dieser Titel ist viel witziger,<br />
aber genauso ironisch, wie »Le torchon brûle« (wörtl. »Der Putzlappen<br />
brennt«, im Sinne von »Krach im Hause« oder »Der Haussegen hängt schief«),<br />
Titel einer nur kurzzeitig Anfang der 70er Jahre erschienenen Zeitschrift. Das<br />
Feuer der Frauen kannte man schon lange: die »Vesuvierinnen« von 1848, die das<br />
Bild des feuerspeienden Vulkans übernahmen, die »Petrolierinnen« der Commune,<br />
die beschuldigt wurden, ohne Sinn und Verstand das Feuer anzufachen.<br />
Das Feuer und die Revolte – was hätte man anderes erwarten sollen als Schnittpunkt<br />
der politischen Poesie? Verbrennen, das ist maßloses Vernichten. Seltener<br />
hingegen sind die Bilder, die den Kopf/das Haupt und den Feminismus verbinden.<br />
Sie konzentrieren sich auf das Haar: Bekannt ist etwa die Maxime »Lange Haare,<br />
kurze Ideen« 4 ; das ist eine anhaltende Tradition, die noch 2007 lebendig war. Und<br />
was passiert, wenn die Frauen sich die Haare abschneiden lassen, seien sie Blaustrümpfe<br />
oder nicht? Kommen die langen Ideen mit den kurzen Haaren? Nicht<br />
wirklich. Wenn die Frauen ohne Kopf noch Hirn eine gewöhnliche Vorstellung<br />
weiblichen Verhaltens bilden, so gleichermaßen die Frauen, die sich zu behaupten<br />
beginnen, dickköpfig werden bzw. ihre Wut zeigen.<br />
1 Dieser Text ist die deutsche Fassung eines Aufsatzes, den die Autorin in dem Simone de Beauvoir gewidmeten<br />
Sonderheft der Zeitschrift »Les Temps Modernes«, Heft Januar-März 2008, publiziert hatte.<br />
2 »Les femmes s’entêtent«: Sonderausgabe der von Sartre und de Beauvoir herausgegebenen Zeitschrift »Les<br />
Temps modernes«. Der Titel lässt sich übersetzen mit »Die Frauen behaupten sich«, oder auch: »Die Frauen werden<br />
dickköpfig/starrsinnig«. (A. d. Ü. – E. B.)<br />
3 Max Ernst hat im Paris der 20er Jahre den Collageroman »La femme cent tête« angefertigt, in welchem er aus<br />
Zeitschriften und Büchern ausgeschnittene Frauengestalten mit verschiedenen Köpfen kombinierte bzw. sie auch<br />
kopflos darstellte. Mit dem Titel stellte er selbst schon Wortspiele an, die nur in der französischen Sprache völlig<br />
aufgehen und auf die sich der französische Feminismus wie auch die Autorin des vorliegenden Aufsatzes bezogen<br />
und beziehen: »La femme cent têtes«, »La femme sans tête«, »La femme s’entête«, »La femme sang tête«,<br />
etwa »Die Frau mit 100 Köpfen«, »Die kopflose Frau«, »Die Frau behauptet sich/Die Frau wird dickköpfig«,<br />
»Die Frau mit blutigem Kopf/Die blutsaugerische Frau«. (A. d. Ü. – E. B.)<br />
4 Robert Salomon: Cheveux longs et idées courtes. Essai de psychologie partiale et déplaisante. Paris 1924;<br />
Michèle Le Doeuff: «Cheveux longs, idées courtes». L’Imaginaire philosophique. Paris 1980.<br />
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