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der es Beauvoir erspart blieb, die weibliche Rolle als Hausfrau und Mutter zu<br />
spielen. Nur einmal im Krieg erinnert sie sich – als sich jemand um Lebensmittel,<br />
um Fahrkarten und so weiter kümmern musste, kochte sie ein wenig, denn Sartre<br />
war als Mann dazu völlig unfähig. 32 Immer wieder betonte Beauvoir, dass ihr<br />
Leben eben nicht auf »einer institutionellen, familiären« oder wie auch immer gearteten<br />
Grundlage beruhte.<br />
Aber selbst dieser »Gegenalltag« blieb – wie jede andere langjährige Beziehung<br />
auch – nicht frei von Routinen und Gewohnheiten. Und so musste die Beibehaltung<br />
dieser Lebensweise verhindern, dass sich eine »lähmende Seite der<br />
Ehe« sich breit machte, die offensichtlich auch ohne Trauschein selbst dieser<br />
außergewöhnlichen Paarbeziehung drohte.<br />
Der Pakt als Leben mit notweniger und zufälliger Liebe<br />
in völliger Transparenz<br />
Beauvoir hatte ihre Sexualität mit Sartre entdeckt, und diese war ihnen in den<br />
ersten zwei, drei Jahren ihrer Beziehung sehr wichtig gewesen. Doch bereits vor<br />
der Verlängerung ihres Paktes 1939 zu einem lebenslangen Pakt beschränkte sie<br />
sich nur noch auf »seltene Gelegenheiten«. 33<br />
Für Beauvoir – damals 31 Jahre alt – war dies mit dem Wissen um ihre einzigartige<br />
intellektuelle Paarbeziehung jenseits aller traditionellen Konventionen und<br />
Erwartungen kein Problem. »Eigentlich hatte ich immer nur die Bedürfnisse, die<br />
auch realisierbar und an eine bestimmte Person gebunden waren« 34 , erklärte sie in<br />
einem Interview mit Alice Schwarzer. Und dies erklärte sie auch für Sartre, für<br />
den, anders als sein Jagdfieber vermuten ließe, der sexuelle Akt keine große Bedeutung<br />
hatte. Sie stellten der traditionellen Ehe, Familie und Mutterschaft, der<br />
Treue der Frau und der gesellschaftlich akzeptierten Untreue des Mannes, ihre<br />
Theorie der notwendigen Liebe entgegen, die unerlässlich durch die Kenntnis seiner<br />
und ihrer Zufallslieben zu ergänzen und in völliger Transparenz zueinander zu<br />
leben sei.<br />
Erst so wären existenzielle Erfahrungen möglich, die sie als gelebten Teil ihrer<br />
philosophischen Ansätze verstanden. Der Mensch begreift sich selbst nur im Erleben<br />
seiner selbst, er ist frei in seinen Handlungen und trägt hierfür die Verantwortung,<br />
eine Bürde, die ihn immer wieder zur»mauvaise foi«, zur Unaufrichtigkeit<br />
oder Selbstlüge treibt. Der Mensch ist das einzige Wesen, das verneinen kann, einen<br />
Bezug zu dem Noch-Nicht oder Nicht-Mehr hat und deshalb lügen kann. Dies<br />
ist Teil der ontologischen Struktur des Menschen. Folgerichtig ist für Sartre die<br />
Transparenz des freien Handelns, das unbedingte Festhalten an der Wahrheit konsequenter<br />
Teil seiner Lebensweise. »Ich habe das Gefühl, dass ich immer die<br />
32 Ebenda, S. 55.<br />
33 Deirdre Bair: Simone de Beauvoir, a. a. O.,S. 260.<br />
34 Alice Schwarzer: Simone de Beauvoir heute, a. a. O., S. 82 f.<br />
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