15.06.2014 Aufrufe

Dokument 1.pdf - eDoc

Dokument 1.pdf - eDoc

Dokument 1.pdf - eDoc

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Im Ganzen genommen erschien der Widerspruch ganz eklatant nicht so sehr<br />

zwischen dem Intellektuellen und dem Volk, als vielmehr zwischen den Frauen,<br />

die sich der Emanzipation verschrieben hatten, und den sich an die von ihren Vorfahren<br />

überlieferten Vorrechte klammernden Gefährten; und zwischen den Frauen<br />

selbst, wohlgemerkt. Auf diese Weise war (und ist) der Widerspruch der Ort des<br />

Feminismus. So lehrte uns Simone de Beauvoir, und so lernten wir, auf beschleunigte<br />

Art, die Geschichte denken, die uns mit all ihrer männlichen Gewissheit beherrscht.<br />

Was nun aber machte Simone de Beauvoir inmitten dieses ganzen Geschichts-<br />

Aktivismus? Sie wirkte ohne Zweifel wie ein Spiegel, wie eine Offenbarung. Wir<br />

hatten diesen Widerspruch zu tragen, das war ein historisches Los, das man nicht<br />

einfach ablegen konnte. Sie war sich darüber völlig im Klaren. Dort also, wie zugleich<br />

bei der Arbeit in der Revue »Les Révoltes logiques«, lernte ich die Paradoxa<br />

und Anachronismen des feministischen Denkens denken. Aber die gemeinsam<br />

mit meinen Philosophen-Freunden um Jacques Rancière entwickelte<br />

Perspektive war konstruierter: Der dem Widerspruch zugewiesene Platz forderte<br />

weniger zur politischen Provokation heraus denn zum Verständnis der Praxis der<br />

Emanzipation durch das Denken 8 – inmitten eines weiten Feldes unterschiedlichster<br />

Logiken der Revolte.<br />

Man musste also dem Weg folgen, oder vielmehr den parallelen Wegen: demjenigen,<br />

der durch die von Gegensätzen und Aporien (Geschlechter und Geschlechtlichkeiten,<br />

Ähnlichkeiten und Differenzen) geprägte Landschaft führt, demjenigen<br />

der Instrumentalisation der Kämpfe durch die Debatte um die Prioritäten<br />

(primär oder sekundär, Widerspruch?); eine Spielart von »Wer verliert, gewinnt«,<br />

Strategien, die immer wieder in Zweifel gezogen werden. 9 Lebendiges Beispiel<br />

dieser Jahre: Wie soll man einen Vergewaltiger bestrafen und zur gleichen Zeit die<br />

Gefängnishaft anprangern? Auf der einen Seite musste man den Kampf der<br />

Frauen in die Gesamtheit der Kämpfe einordnen, auf der anderen Seite musste<br />

man ihn absondern, um niemanden zu täuschen. Von dieser Alternative war unser<br />

ganzes strategisches Denken erfüllt: Sollte man die den Erfordernissen des Krieges<br />

unterworfenen Frauen in den Vordergrund rücken, oder vielmehr die Frauen,<br />

die den Pazifismus als Widerstand verstanden; sollte man sich für die freie Liebe,<br />

die sexuelle Freiheit, begeistern, oder nicht vielmehr die Freiheit bemessen, die<br />

sie den Männern bot, bevor sie sich den Frauen eröffnete?<br />

Das ist das, was ich lernte – das Denken des unumgänglichen Widerspruchs,<br />

und die Diskussion über die Strategie als notwendige Folgerung. Eine Ausbildung,<br />

meine Grundausbildung.<br />

Wie sollte man sich, angesichts solcher Überlegungen, mit der allzu klassischen<br />

Entgegensetzung von weiblicher Natur und sozialer Konstruktion zufrieden<br />

geben, oder, umgekehrt, mit einem kulturellen Zwang, der das Biologische domi-<br />

8 Les Révoltes logiques. Revue du Centre de recherches sur les idéologies de la révolte. Paris 1975-1985.<br />

9 Geneviève Fraisse: La Controverse des sexes. Paris 2001.<br />

141

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!