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schreibung des Sekretärs (das sind etwa 2 Prozent aller SekretärInnen) mehr mit<br />
dessen männlichen Vorfahren als mit seinen derzeitigen Kolleginnen gemein.<br />
Die Bedeutung des Terminus Sekretär hat sich stark gewandelt, seit er sich nicht<br />
mehr ausschließlich auf Männer bezieht. Dieser Übergang vom Männlichen zum<br />
Weiblichen erklärt sich aus dem Zusammentreffen zweier Phänomene: der Verbreitung<br />
von Schreibmaschine und Telephon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts<br />
und der Erhöhung der Anzahl weiblicher Büroangestellter, die einerseits aus diesen<br />
technologischen Innovationen resultierte (die Mechanisierung zieht die Dequalifizierung<br />
und damit die Verweiblichung nach sich), andererseits aus dem Wandel des<br />
Arbeitsmarkts. Ab 1890 wurden die Frauen, die Bürojobs innehatten, als Stenotypistinnen<br />
(frz. »sténodactylographes«) bezeichnet, ab 1935-40 als Sekretärin, wovon<br />
<strong>Dokument</strong>e aus dieser Zeit zeugen. Auf diese Weise wurde die Gesamtheit der Kategorie<br />
zunächst entsprechend der Masse der eng mit der Maschine verbundenen<br />
Angestellten – also der unteren Schicht – bezeichnet, und erst später unter Bezug<br />
auf die durch ihre Beziehung zum Chef charakterisierte Oberschicht.<br />
Was bedeutet es, wenn der Chef eine Frau ist? Eine solche Figur, die früher unwahrscheinlich<br />
war, kommt immer häufiger vor, vor allem auch durch den Zugang<br />
von Frauen zu vormaligen Männerdomänen in Bildung und Ausbildung (in<br />
Frankreich etwa den Grandes Écoles). Indes birgt die Beziehung zweier Frauen<br />
mit ungleichem Status einen Widerspruch in sich: In einer von Männern dominierten<br />
Welt sind sie zugleich ähnlich und unterschiedlich. Jede von ihnen empfindet<br />
eine Zwistigkeit, die aus nichts anderem herrührt als aus dem Zerbrechen<br />
der quasinatürlichen Verbindung von Herrschaft und Männlichkeit.<br />
Von daher die Ambivalenz, die beide spüren. Verbunden durch ihre »Weiblichkeit«,<br />
könne sie herzliche Beziehungen zueinander haben, die auf Komplizenschaft<br />
beruhen: So können sie Adressen von angesagten Boutiquen oder von Ärzten<br />
austauschen, sich über ihre Kinder unterhalten, plaudern wie unter Komplizen.<br />
Entzückt davon, für jemanden zu arbeiten, der ihr so nahe steht, ist die Sekretärin<br />
geneigt, sich in einem Bild ihrer selbst wiederzuerkennen, was ihr symbolische<br />
Genugtuung verschafft. Und doch kann dieser Gehorsam gegenüber einer Person,<br />
die auf derselben, nämlich der weiblichen Seite, steht, schwer ertragen und als<br />
Abweichung vom normalen Gang der Dinge angesehen werden. Entsprechend ist<br />
auch die Chefin hin- und hergerissen zwischen offizieller Funktion einerseits und<br />
Zugehörigkeit zu einer beherrschten Gruppe andererseits. Und da ihr die herausfordernden<br />
und misstrauischen Blicke nicht entgehen können, die auf ihr ruhen,<br />
ist sie dazu verurteilt, verkrampft oder gespannt zu erscheinen, muss sie sich<br />
doch, mehr als ihre männlichen Kollegen, als Chef beweisen und »durchsetzen«.<br />
Verletzlich und empfindlich, muss sie in Ausdruck und Kleidung härter, strenger<br />
und unbeugsamer erscheinen, um von ihrer Autorität zu überzeugen. Diese<br />
Zwangslage wird von Seiten der Sekretärin wahrgenommen: »zwei Frauen, das<br />
ist manchmal schwierig, wir haben jede unsern Charakter, aber ich werde gern als<br />
Sekretärin angesehen. Es ist sicher weniger leicht, mit einer Frau zusammen zu<br />
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