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es ist Ergebnis historischer Entwicklungen und keine prähistorische Gegebenheit.<br />

Und hier führt sie den Begriff der Situation ein. Danach ist es nicht die sog. weibliche<br />

Natur – »das ewig Weibliche«, von dem etwa Goethe spricht –, sondern die<br />

Situation der Frauen in der Gesellschaft, die ihnen bestimmte Tätigkeiten, Rollen<br />

und daraus resultierende Charaktere zuweist – und im Übrigen, müsste man hinzufügen,<br />

den Männern auch!<br />

So weit, so gut! Das alles mag, zumindest aus heutiger Sicht, nicht weiter spektakulär<br />

erscheinen, ist ja die Historisierung und damit De-Naturierung und Sozialisierung<br />

der Geschlechterverhältnisse und der geschlechtsspezifischen Rollen<br />

eine zwar bei Weitem nicht durchgängig, jedoch zunehmend anerkannte Sicht.<br />

Aber das »eigentlich« Spannende beginnt, zumindest für mich, erst an dieser<br />

Stelle der Gedankenbewegung: Wenn, so bohrt Beauvoir weiter, die Dominanz in<br />

den Geschlechterverhältnissen nicht auf die Natur der Menschen zurückzuführen<br />

ist, sondern auf ihre Situation, wie kommt es dann, dass sich diese Situation, trotz<br />

vieler Veränderungen im Detail und an der Oberfläche, nicht grundsätzlich geändert<br />

hat? Warum bilden die Frauen immer wieder das andere, relative, abhängige,<br />

heteronome Geschlecht?<br />

Hier kommen wir zu dem, was m. E. den Kern von Beauvoirs Machtkonzept<br />

ausmacht und das folgendermaßen reformulierbar ist: Ohne ein Mindestmaß an<br />

Mitmachen der Frauen bei ihrem Beherrschtwerden würde die Herrschaft der<br />

Männer über sie keine solche Festigkeit und Dauerhaftigkeit besitzen. Die Abhängigkeit<br />

vom Mann bringt der Frau, so Beauvoir, vielfältige Vorteile, wie (trügerische)<br />

Sicherheit, die Möglichkeit, sich in (scheinbarer) Ruhe um Heim, Herd und<br />

Kinder kümmern können, eine finanzielle Absicherung. Der Preis dessen jedoch<br />

ist vielfacher Verzicht: Verzicht auf wirtschaftliche, moralische und geistige Autonomie,<br />

Passivität, Isolation, Vereinsamung in den Mauern des eigenen Heims,<br />

Frustration. Auf diese Konstellation bzw. Konfiguration kommt Beauvoir an vielen<br />

Stellen ihres Werks zurück. Sie spricht in diesem Zusammenhang vom »Entgegenkommen«<br />

der Frauen, von ihrer freiwilligen Unterordnung, ja von ihrem<br />

»Parasitendasein«, davon, dass die Frauen zu Vasallen, zu Komplizinnen ihrer<br />

Männer werden. 3 Durch dieses Mitmachen laufen die Frauen immer wieder Gefahr,<br />

auf die Immanenz, auf die Enge von Heim und Herd reduziert und zurückgeworfen<br />

zu werden bzw. sich darauf zu reduzieren und dahin zurückzuziehen,<br />

während die Männer die Weite des sozialen Raums erobern und besetzt halten.<br />

Die alte, schon von Aristoteles benannte Trennung von oikos und polis und ihre<br />

geschlechterspezifische Aufteilung wird nur dadurch so dauerhaft reproduziert,<br />

dass sich die Frauen tendenziell – bei allem historischen Auf und Ab – immer<br />

3 Geneviève Fraisse hat, unter Bezug auf Beauvoir, dieses Mitmachen der Frauen bei ihrem Beherrschtwerden unter<br />

der Kategorie des »consentement«, also der Zustimmung bzw. des Einverständnisses behandelt und dabei auf<br />

die ganze Ambivalenz hingewiesen, die sowohl im entsprechenden praktischen Verhalten der Frauen liegt als<br />

auch in den sprachlichen Formen, die ihm Ausdruck verleihen. Vgl. Geneviève Fraisse: Du consentement. Paris<br />

2007.<br />

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