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nen. Schließlich kommt er zum Kern der Sache, der, wie er schreibt, das Geheimnis<br />

und die Triebfeder der Herrschaft enthält und die Stütze und der Grund der Tyrannei<br />

ist: Das ist das Interesse, der Vorteil, die Gunst und der Gewinn, den die<br />

engere Entourage des Tyrannen aus der Herrschaft ziehen. Auf diese Weise fessele<br />

der Despot die ihm unmittelbar Untergebenen bzw. ihn Umgebenden an sich,<br />

die wiederum dasselbe Interesse bei den ihnen Untergebenen hervorrufen, woraus<br />

sich kaskadenförmig eine lange Kette der Herrschaft und freiwilligen Knechtschaft<br />

ergibt, die ein ganzes Land an den Despoten bindet. Nicht einer, so de la<br />

Boétie, der nicht bei der Hauptbeute seinen Anteil haben will. Der Preis: Alle<br />

müssen so denken und handeln wie der Tyrann. Und, was die Nähe zu Beauvoir<br />

perfekt macht: Er schließt mit Ausführungen zu den Möglichkeiten und Grenzen<br />

von Liebe und Freundschaft unter der Tyrannis: Gerade die unmittelbarste Umgebung<br />

des Tyrannen sei besonders von seiner Willkür und Gewalt betroffen (oftmals<br />

komme es zum Mord an seinen engsten Vertrauten). Daher werde der Tyrann<br />

gefürchtet, aber nie geliebt, und auch Freundschaft sei unter diesen Umständen<br />

nicht möglich, da es keine Gleichheit zwischen dem Tyrannen und seinen Untergebenen<br />

gebe.<br />

Auf diese »Rede von der freiwilligen Knechtschaft« wurde in der politischen<br />

Ideengeschichte immer wieder zurückgegriffen, insbesondere dann, wenn es um<br />

die Begründung der Legitimität der Beseitigung eines Tyrannen oder/und um die<br />

Begründung anarchistischer Denkweisen ging. Auch ist klar, warum die Nationalsozialisten<br />

diesen Diskurs verboten. Ich nun sehe große Ähnlichkeiten in den<br />

Analysen der Funktionsweise von Herrschaft bei de la Boétie und Beauvoir, obwohl<br />

Letztere sich nicht explizit auf Ersteren bezieht. Ich gehe davon aus, dass sie<br />

den Text kannte. 8 Montaigne selbst hat, darauf verweist Horst Günther, einen Ausdruck<br />

geprägt, der aus der Beschäftigung mit de la Boéties Diskurs über die freiwillige<br />

Knechtschaft die Konsequenz zieht und der ganz direkt auf Beauvoir vor<br />

zu verweisen scheint: den Begriff der »liberté volontaire«, der freiwilligen, absichtsvoll<br />

gewählten und auf sich genommenen Freiheit. 9 Warum sich Beauvoir<br />

nicht explizit auf diesen Diskurs bezog, vermag ich nicht zu beantworten, die geistige<br />

Verwandtschaft ist jedoch in meinen Augen unverkennbar. 10<br />

8 Immerhin war es die ursprüngliche Intention von Montaigne, ihn in der Mitte des ersten Bandes seiner »Essais«<br />

abdrucken zu lassen; wenngleich er sich aus verschiedenen Gründen dazu entschloss, diese Mitte mit 29 Sonetten<br />

von de la Boétie auszufüllen, so wurde seine ursprüngliche Intention doch in späteren Ausgaben der »Essais«<br />

insofern verwirklicht, als der »Discours de la servitude volontaire« im Anhang abgedruckt wurde.<br />

9 Vgl. Horst Günther: Nachwort. In: Etienne de la Boétie: Von der freiwilligen Knechtschaft, Hamburg 1992,<br />

S. 248.<br />

10 In ihrem bereits erwähnten Buch »Du consentement« greift auch G. Fraisse auf de la Boétie zurück; vgl. a. a. O.,<br />

S. 85 ff.<br />

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