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gen, sondern um sich über eine distanzierte Schreibweise mit der Realität auseinander<br />
zu setzen. Im Gespräch mit Simone de Beauvoir unterstrich Sartre, wie<br />
entscheidend es für ihn gewesen sei, jemanden gefunden zu haben, der sich auf<br />
demselben Niveau bewege wie er. »Das verband uns, und die anderen Schüler<br />
wussten, dass wir schreiben wollten und schätzten uns entsprechend«. 7<br />
Nach dem Baccalauréat bereitete Sartre wie Nizan von 1922 bis 1924 die Aufnahmeprüfung<br />
für die ENS in den Vorbereitungsklassen des Lycée Louis-le-<br />
Grand vor. Im Juli 1924 bestanden beide die Aufnahmeprüfung an der ENS rue<br />
d’Ulm, Sartre im siebten Rang und Nizan im 22. Rang. Die beiden veröffentlichten<br />
während dieser Zeit schon ihre ersten Texte in der kurzlebigen »Revue sans<br />
titre«. 1925 schrieben Sartre und Nizan zusammen eine Erzählung, und 1928<br />
überprüften sie gemeinsam die französische Übersetzung der Allgemeinen Psychopathologie<br />
von Jaspers. Wenn Sartre vor allem Philosophie-Vorlesungen<br />
besuchte, so zeugten doch seine frühen Texte schon von seiner literarischen<br />
Ambition. »Er liebte Stendhal ebenso sehr wie Spinoza und weigerte sich, die<br />
Philosophie von der Literatur zu trennen«, wird Simone de Beauvoir in ihren Memoiren<br />
schreiben. 8 An der ENS arbeitete Sartre äußerst intensiv. »›Er hört nie auf<br />
zu denken‹, hatte Herbaud [René Maheu] zu mir gesagt«, so wieder Simone de<br />
Beauvoir. »Er interessierte sich für alles und nahm niemals etwas als selbstverständlich<br />
hin.« 9 Während seiner Vorbereitung auf die Agrégation interessierte er<br />
sich vor allem für Descartes, Spinoza und Rousseau, aber auch für Marx und<br />
Freud, dessen Determinismus er aber ablehnte.<br />
Das philosophische Problem, das ihn in dieser Zeit an der ENS vor allem beschäftigte,<br />
war das der Kontingenz. In einem Notizbuch hielt er seine »Theorien«<br />
fest, das, was er später den »Anfang seines Denkens über die Kontingenz« nannte:<br />
»Ausgehend von einem Film habe ich über die Kontingenz nachgedacht. Ich sah<br />
Filme, in denen es keine Kontingenz gab. Und wenn ich dann auf die Straße kam,<br />
fand ich die Kontingenz wieder. Es war also die Notwendigkeit in den Filmen, die<br />
mich danach spüren ließ, dass es auf der Straße keine Notwendigkeit gab. Die<br />
Leute, die sich da bewegten, waren irgendwer [...].« 10 Es ist nun durchaus bezeichnend,<br />
dass Sartre die Kunst dem Bereich des Notwendigen zuordnet, das die Kontingenz<br />
übersteigt. Die Kontingenz wird aber auch als ein Bereich der Freiheit gedacht,<br />
was von einer deterministischen Philosophie etwa marxistischer Observanz<br />
verkannt werde.<br />
7 Simone de Beauvoir: La cérémonie des adieux. Paris, Gallimard, 1981, S. 196 (übersetzt von J. J.).<br />
8 Simone de Beauvoir: Memoiren einer Tochter aus gutem Hause. Frankfurt S. Fischer, 1999, S. 495.<br />
9 Ebenda, S. 490.<br />
10 Sartre zitiert in: Simone de Beauvoir: La cérémonie des adieux, S. 181 (übersetzt von J. J.).<br />
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