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»führt zum schmerzlichen Verlust ihres Glaubens an ihren souveränen und exklusiven<br />
Status als denkendes Wesen. Für den Rest ihres Lebens bleibt sie dabei, sich<br />
intellektuell und philosophisch als zweite nach Sartre zu sehen.« 68 In diesem Zusammenhang<br />
sieht die Autorin dann auch Beauvoirs Entschluss, es lieber auf literarischem<br />
als auf philosophischem Gebiet zu etwas zu bringen. Ich denke aber,<br />
wenn man die Eintragungen im Tagebuch liest, dann erscheint das Medici-Brunnen-Gespräch<br />
viel weniger dramatisch. Im Tagebuch spricht sie von einer Debatte,<br />
die zwei Stunden dauerte, in den Memoiren sind es drei Stunden. Im Tagebuch<br />
formuliert sie auch ihren Willen, zur selben Reife des Denkens zu gelangen<br />
wie Sartre. Und schließlich geht es dabei nicht um Philosophie generell, sondern<br />
um das partielle Problem einer pluralistischen Moral. Im Tagebuch berichtet sie<br />
überdies, dass sich Sartre am nächsten Tag für das, was er am Medici-Brunnen<br />
sagte, entschuldigt habe!<br />
Schließlich darf man auch nicht eine Kluft zwischen Literatur und Philosophie<br />
aufbauen. Zweifellos hat sie sich für die agrégation in Philosophie entschieden.<br />
Das entsprach ihrer Neigung. Überdies war die agrégation in Philosophie das<br />
prestigereichste Hochschulexamen. Schon als Gymnasiastin hatte sie eine Vorliebe<br />
für das Fach empfunden: »An der Philosophie zog mich vor allem an, dass<br />
sie meiner Meinung nach unmittelbar auf das Wesentliche ging. Ich hatte mich nie<br />
für Einzelheiten interessiert; ich nahm den globalen Sinn der Dinge weit eher als<br />
ihre Besonderheiten in mich auf; ich begriff lieber, als dass ich sah: immer hatte<br />
ich alles erkennen wollen: die Philosophie würde mir möglich machen, dieses<br />
mein Verlangen zu erfüllen, denn die Gesamtheit des Wirklichen war das Ziel, das<br />
ich im Auge hatte.« 69 Die agrégation war aber ein Berufsexamen, das auf den Beruf<br />
als Philosophielehrer/in vorbereitete. Und diesen Beruf hat Simone de Beauvoir<br />
auch wahrgenommen, zuerst in Marseille, dann in Rouen, wie Sartre auch.<br />
Die Literatur situierte sich jedoch nicht auf dieser professionellen Ebene.<br />
Schriftstellerin zu sein, war kein Beruf, den man über ein Studium erlernen<br />
konnte, sondern eine Frage der individuellen Begabung. Das war aber ein Traum,<br />
den Simone auch seit ihrer Jugendzeit hegte. Als man sie als Fünfzehnjährige<br />
fragte, was sie werden wollte, antwortete sie ohne zu zögern: »Eine berühmte<br />
Schriftstellerin«, um das dann gleich auch zu erklären: »Zunächst lag das an der<br />
Bewunderung, die ich für alle Schriftsteller hegte; mein Vater stellte sie durchaus<br />
noch über Naturwissenschaftler, Gelehrte oder Professoren [...]. Mir als Frau<br />
erschienen außerdem diese Gipfel zugänglicher als einsame Hochebenen; die<br />
berühmtesten Schwestern hatten sich in der Literatur hervorgetan.« 70 Man kann<br />
wohl kaum annehmen, wie das Toril Moi zu suggerieren scheint, dass sie sich mit<br />
der Literatur »begnügt« habe, um dem Philosophen Sartre den Vorrang zu lassen.<br />
Wir konnten schon auf der Basis des Tagebuches ihre großen literarischen Vorlie-<br />
68 Toril Moi: Simone de Beauvoir, S. 47.<br />
69 Simone de Beauvoir: Memoiren, S. 227.<br />
70 Ebenda, S. 202 f.<br />
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