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wieder auf den Platz zurückdrängen lassen, auf den sie gedrängt werden sollen –<br />

nämlich Heim und Herd –, während die Männer die Polis und damit das sog.<br />

Wichtige in den Griff nehmen.<br />

An dieser Stelle sei nur angemerkt, dass die korrekte Übersetzung bestimmter<br />

Passagen von Beauvoir eminente Bedeutung hat: Wenn sie schreibt: »On ne nait<br />

pas femme, on le devient«, so heißt und bedeutet das eben nicht: »Man kommt<br />

nicht als Frau zur Welt, man wird dazu gemacht«, wie es so oft falsch zitiert wird,<br />

sondern: »Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.« (Wie es auch schon<br />

korrekt in meiner Ausgabe von 1989 steht, Bd. 1, S. 403.)<br />

Das alles könnte nun wie ein einziger Vorwurf an die Frauen klingen: Seht, ihr<br />

seid selbst Schuld an der Herrschaft der Männer über euch, jammert also nicht!<br />

(Und dies wurde und wird Beauvoir auch immer wieder als bürgerlicher Elitismus<br />

zum Vorwurf gemacht.)<br />

Doch bin ich der Auffassung, dass hier der entscheidende Wendepunkt bzw.,<br />

wenn man so will, die Dialektik in Beauvoirs Machtkonzeption zu sehen ist:<br />

Wenn die Frauen bei den männlichen Machtspielen mitmachen bzw. -tun, so sind<br />

sie offenbar nicht bloße Objekte, sondern, obgleich in entfremdeter Form und eingeschränktem<br />

Maße, Subjekte ihrer Handlung, nicht bloß Opfer, sondern auch<br />

Täterinnen. 4<br />

In dieser Lesart ist für mich »Das andere Geschlecht«, neben einer Analyse der<br />

historisch gewachsenen Herrschaftsbeziehungen zwischen Männern und Frauen,<br />

ein einziger Appell an die letzteren, sich aus ihrer, um Kant zu paraphrasieren,<br />

selbst (mit-) verschuldeten Unmündigkeit zu befreien, ihre Freiheiten wahrzunehmen<br />

und sich so zu autonomen Subjekten zu machen.<br />

Bleibt dies reiner Appell? Ich würde sagen: Nein. Denn für Beauvoir ist 1949<br />

die Zeit reif geworden dafür, dass die Frauen sich selbst befreien und eine Gesellschaft<br />

mitgestalten, in der die Ideale der Französischen Revolution tatsächlich<br />

verwirklicht werden. 5 Voraussetzung dessen ist, dass die Frauen berufstätig und<br />

damit wirtschaftlich unabhängig sind, und dass sie so aus ihrer häuslichen, klassen-<br />

und rassenmäßigen Isolierung heraustreten, sich verbünden und im Kollektiv<br />

aktiv werden.<br />

4 Frigga Haug wendet sich ebenfalls dagegen, die Frauen auf die bloße Opferrolle zu reduzieren, und bezeichnet<br />

sie auch als Täterinnen. Sie sind eben beides! Vgl. Frigga Haug: Frauen – Opfer oder Täter? In: dies.: Die Vierin-einem-Perspektive.<br />

Hamburg 2008, S. 239-248. Zugleich kann hier mit der insbesondere im Französischen so<br />

gut erkennbaren Mehrdeutigkeit des Begriffs Subjekt gearbeitet werden. Während »Subjekt« nur die aktive Seite<br />

auszudrücken scheint, hat das »sujet« von vornherein den Doppelcharakter von Aktivem und Passivem, da es zugleich<br />

auch »das Unterworfene« bedeutet.<br />

5 Ingrid Galster spricht an dieser Stelle von den republikanischen Werten, die Beauvoir mit durchsetzen wollte<br />

(Freiheit, Gleichheit, Solidarität, bzw., wie wir es ausgedrückt haben, Geschwisterlichkeit), im Gegensatz zu den<br />

traditionellen Werten des Vichy-Regimes (Arbeit, Familie, Mutterschaft), die ihr deshalb so verhasst waren, weil<br />

sie durch das Infragestellen derselben 1943 ihren Job verloren hatte. Vgl. Ingrid Galster: Beauvoir dans tous ses<br />

états, a. a. O., S. 159. Allerdings ist die Frage noch weiter zurückzudatieren: Warum hatte denn Beauvoir ein derart<br />

an-archistisches, die gegebenen Strukturen und Institutionen, also die soziale Ordnung infragestellendes Verhalten<br />

an den Tag gelegt?<br />

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