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Hat sie diese Vorschriften befolgt? Es ist ziemlich leicht zu erraten, dass dem<br />
nicht der Fall ist.<br />
Frappiert von dem Überfluss an Waren in den New Yorker Geschäften, kommt<br />
sie doch letztlich zu dem Schluss, »dass unter der bunten Hülle alle Schokoladen<br />
den gleichen Erdnussgeschmack haben und dass alle bestsellers die gleiche<br />
Geschichte erzählen. Und warum gerade diese eine Zahnpasta wählen? Diese<br />
unnütze Überfülle hat einen Nachgeschmack von Mystifikation. Da gibt es tausend<br />
Möglichkeiten – und es bleibt doch immer die gleiche. Du hast eine tausendfache<br />
Auswahl – und eine ist so viel wert wie die andere.« 8 Was muss das für ein<br />
Kontrast gewesen sein zu dem vollständigen Mangel an verfügbaren Waren, der<br />
während des Zweiten Weltkriegs in Frankreich geherrscht hatte; und doch ist sie<br />
von dieser »Qual der Wahl« überhaupt nicht beeindruckt. Was sie in den Vereinigten<br />
Staaten vorfindet, ist eine Konsumgesellschaft, und sie fragt sich, wozu man<br />
eine solche Vielfalt braucht, wo es doch Gegenden auf der Welt gibt, wo man froh<br />
ist, überhaupt etwas zu essen zu haben und zu überleben.<br />
Diejenigen, die meinen, Simone de Beauvoir habe keinen Sinn für Humor,<br />
sollten die Passagen lesen, wo sie von den Werbeplakaten spricht, die sie in New<br />
York gesehen hat: »Auf den Reklamen, ob sie nun Quaker-Oats, Coca-Cola oder<br />
Lucky Strike anpreisen – welch eine Überfülle von schneeweißen Zähnen: das<br />
Lächeln scheint ein Starrkrampf zu sein. Das junge, verstopfte Mädchen schenkt<br />
ein verliebtes Lächeln dem Zitronensaft, der ihren Därmen Erleichterung verschafft.<br />
In der U-Bahn, auf der Straße, auf den Seiten der Magazine verfolgt mich<br />
dieses Lächeln wie eine Zwangsvorstellung. In einem drugstore las ich auf einem<br />
Aushängeschild: Not to grin is a sin – nicht lächeln ist eine Sünde.« 9<br />
Um ein weiteres Mal ist sie frappiert von der Omnipräsenz einer Werbung, deren<br />
Ziel es ist, bei den Konsumenten die Lust auf den Kauf von etwas zu erzeugen, das<br />
sie nicht wirklich brauchen. Und dies noch vor dem Zeitalter, wo der Fernseher integraler<br />
Bestandteil des Lebens der meisten amerikanischen Familien geworden ist.<br />
»In Ihrem Land ist der Kunde König, aber nicht in Frankreich«, hatte diesen<br />
Sommer ein französischer Freund bemerkt. Auch Beauvoir nimmt die konzertierte<br />
Liebenswürdigkeit der amerikanischen Angestellten gegenüber ihren Klienten<br />
zur Kenntnis, etwa als sie in eine New Yorker Bank eintritt, um einen Scheck<br />
einzulösen: Die Angestellten »umgibt eine Atmosphäre von Vertrauen, Heiterkeit<br />
und Freundschaft. Der liebe Nächste ist nicht a priori ein Feind, und auch, wenn<br />
er sich täuscht, wird er nicht sofort für schuldig gehalten. Ein solches Wohlwollen<br />
ist in Frankreich sehr selten geworden. Ich bin Ausländerin: das ist hier weder ein<br />
Fehler noch eine Überspanntheit. Man lacht nicht über meine kümmerliche Aussprache<br />
– man gibt sich um so mehr Mühe, mich zu verstehen.« 10<br />
8 Ebenda, S. 25.<br />
9 Ebenda, S. 29.<br />
10 Ebenda, S. 31.<br />
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