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zählen pflegte: »in einer Geschichte war der Ehemann so hastig und brutal, dass<br />

sich seine Frau am Bettpfosten das Genick brach, in einer anderen Geschichte<br />

fand man die junge Frau am Morgen auf dem Kleiderschrank, wohin sie sich geflüchtet<br />

hatte, nackt und geistesgestört.« 29 Ein bezeichnendes Beispiel für Sartres<br />

und Beauvoirs gnadenlose Abrechnung mit patriarchalischen Sitten!<br />

Beauvoir berichtet im dritten Band ihrer Autobiographie, »Der Lauf der<br />

Dinge«, 30 über den entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang zwischen dem<br />

»Anderen Geschlecht« und den »Memoiren«: Um den Juli 1946 herum wollte sie<br />

eigentlich am liebsten etwas Autobiographisches schreiben. Ihre Weiblichkeit<br />

hielt sie dabei für ziemlich irrelevant. 31 Sartre war nicht einverstanden und regte<br />

sie zur genaueren Untersuchung der Frage an. Das Nachforschen führte sie zu der<br />

Entdeckung, dass diese Welt »eine Männerwelt« 32 mit von Männern geschaffenen<br />

Weiblichkeitsmythen ist. Aus diesem Kerngedanken entstand dann in atemberaubender<br />

Geschwindigkeit – die reine Schreibzeit betrug nur 14 Monate 33 – ihr<br />

bahnbrechender Essay, der ihr sogleich skandalumwitterten Ruhm 34 einbrachte.<br />

Nach dem »Umweg« über die Erforschung des »Gewordenseins« der Frau im Allgemeinen<br />

kehrte Beauvoir etwa zehn Jahre später zu dem ursprünglichen autobiographischen<br />

Projekt zurück. Als sie 1958 ihre »Memoiren einer Tochter aus gutem<br />

Hause« veröffentlichte, war sie zu einer anerkannten Schriftstellerin geworden.<br />

1954 hatte sie für ihren Roman »Die Mandarins von Paris« 35 den Goncourtpreis<br />

bekommen und wurde in der Öffentlichkeit nicht mehr hauptsächlich als »Sartres<br />

Gefährtin« wahrgenommen. Dazu hatte sie »völlige wirtschaftliche Unabhängigkeit<br />

von Sartre« 36 gewonnen, wie Éliane Lecarme-Tobone feststellt. Dies ermöglichte<br />

ihr eine souveränere Position beim Eintauchen in die eigene Kindheit und<br />

Jugend.<br />

Die »Memoiren« enden mit dem Jahr 1929, das die Autorin als Klimax ihrer<br />

bis dahin durchlaufenen Entwicklung darstellt. In der Tat war 1929 ein Schlüsseljahr<br />

für sie: Beauvoir eroberte sich einen Platz im Kreise der glänzendsten Philo-<br />

29 Jean-Paul Sartre: Die Wörter. Berlin und Weimar 1965, S. 11, deutsch von Hans Mayer. – Les Mots. Paris 1964.<br />

30 Vgl. Simone de Beauvoir: Der Lauf der Dinge. Reinbek bei Hamburg 1966, S. 97-98, deutsch von Paul Baudisch.<br />

– La Force des choses. Paris 1963.<br />

31 Vgl. Simone de Beauvoir: Der Lauf der Dinge, a. a. O., S. 97.<br />

32 »[...] meine Jugend wurde mit Mythen gespeist, die von Männern erfunden worden waren, und ich hatte keineswegs<br />

so darauf reagiert, als wenn ich ein Junge gewesen wäre.« Ebd., S. 98.<br />

33 Vgl. die Buchanalyse von É. Lecarme-Tabone: Simone de Beauvoir. Le Deuxième Sexe. Paris 2008, S. 18.<br />

34 Siehe dazu Simone de Beauvoir: Der Lauf der Dinge, a. a. O., S. 184-190. – Siehe auch Ingrid Galster: Le Deuxième<br />

Sexe de Simone de Beauvoir. Paris 2004. – Zum Umgang mit dem Buch in der DDR siehe Irene Selle: La<br />

publication en République démocratique allemande. In: Christine Delphy und Sylvie Chaperon (Hrsg.): Cinquantenaire<br />

du Deuxième sexe, Colloque international Simone de Beauvoir. Paris 2002, S. 488-493. – Irene<br />

Selle: Publication et réception du »Deuxième Sexe« en R. D. A. – Compte rendu d’une expérience vécue. In:<br />

Lendemains. Tübingen 94/1999, S. 92-101. – Irene Selle: Zur DDR-Rezeption von »Das andere Geschlecht«.<br />

Ein Erfahrungsbericht. In: Die Philosophin. Forum für feministische Theorie und Philosophie. Tübingen, Heft 20/<br />

Oktober 1999, S. 114-125.<br />

35 Die Mandarins von Paris. Reinbek bei Hamburg 1955, Deutsch von Ruth Ücker-Lutz und Fritz Montfort. – Les<br />

Mandarins. Paris 1954.<br />

36 É. Lecarme-Tobone: Simone de Beauvoir. Mémoires, a. a. O., S. 39.<br />

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