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Die Rezeption der ersten Werke von Simone de Beauvoir schreibt sich in den<br />
ganz besonderen politischen und literarischen Kontext des Krieges und der Befreiung<br />
ein. Sie wird sich auf drei Ebenen abspielen, die den literarischen Geschmack<br />
der neuen Romanautorin betreffen: der metaphysische Roman, der Einfluss<br />
des amerikanischen Romans, die Zurückweisung des Existenzialismus vor<br />
dem Hintergrund der in der Zwischenkriegszeit ausgebrochenen Literaturkrise um<br />
den klassischen französischen Roman, dessen Genre verbraucht zu sein scheint.<br />
Wir werden die Rezeption der Schriften Simone de Beauvoirs unter der Perspektive<br />
dieser Kontexte und Ebenen betrachten.<br />
»Sie kam und blieb« erscheint, als der Krieg in vollem Gange ist, unter deutscher<br />
Okkupation und der faschistischen Vichy-Regierung, die am Tag nach der<br />
Niederlage von 1940 an die Macht gelangt. Der Roman hat die doppelte Zensur<br />
der Okkupanten und der Vichy-Regierung überstanden. Wie spielt sich, unter der<br />
Bedingung einer so strengen Überwachung, die Kritik ab? Kann sie von Objektivität<br />
und Neutralität gegenüber einem Buch zeugen, worin die Handlung und die<br />
Lebensweise der handelnden Personen dem auf »Arbeit, Familie, Vaterland« gegründeten<br />
Moralkodex der neuen Ideologie so fundamental widersprechen? Seinem<br />
Thema und den Personen nach, die sich, inspiriert durch den Individualismus<br />
der Vorkriegszeit, in Distanz zu den sozialpolitischen Bedingungen der Okkupation<br />
befinden (das Sujet findet sich bereits klar und deutlich in den »Carnets de<br />
jeunesse« von 1927), ist »Sie kam und blieb« noch ein Jugendwerk. Indem sie es<br />
mittels eines subtilen Winkelzugs einer hypothetischen »femininen Literatur« zuordnet,<br />
umgeht die Kritik das moralische Problem.<br />
»Das Blut der anderen« und »Unnütze Mäuler« erscheinen zur Zeit der Befreiung,<br />
in einem Land, das die Freiheit wiederentdeckt hat und viele neue, einander<br />
bekämpfende Ideologien entstehen sieht, darunter eine neue Philosophie, den Existenzialismus,<br />
der, nachdem er die Philosophie und die Literatur infiltriert hat, mit<br />
der Schaffung einer neuen Zeitschrift – »Les Temps Modernes« –, die sich durch<br />
die Mitarbeit junger, durch die Eliten der besten Schulen gebildeter Intellektueller<br />
als prestigeträchtig ankündigt, nunmehr die Politik attackiert.<br />
Diese Philosophie ruft eine erbitterte Opposition unter der Rechten, aber auch<br />
der Linken hervor, die Kommunistische Partei an der Spitze. Hatten nicht derjenige,<br />
den man bereits den Chef der »existenzialistischen Schule« nannte, und<br />
seine alsbald als »Notre Dame de Sartre« bekannte Gefährtin, bereits die öffentliche<br />
Szene überfallen, sie durch die Publikation eines Romans und eines Bühnenstücks<br />
in diesem Jahr 1945, er durch zwei Romane und Theaterstücke, die seit der<br />
Saison 1942-1943 regelmäßig gespielt wurden? Dieses Übergewicht einer Denkweise<br />
und eines als »existenzialistische Offensive« titulierten Medien-Paares rief<br />
von Beginn an starke Widerstände hervor, sodann eine tiefgründige Ablehnung,<br />
die das Werk Simone de Beauvoirs prägen wird.<br />
Aber die wachsende Feindseligkeit gegenüber dem Existenzialismus Sartres ist<br />
nicht der einzige Grund für die Abneigung, die sich dauerhaft zwischen der neuen<br />
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